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Gleicher Lohn für gleiche Arbeit? Warum der Gender Pay Gap noch immer ein Problem ist

Vergütungs- und Gehaltsexpertin Martina Ernst von FairEqualPay im Interview über die hartnäckigen Ursachen des Gender Pay Gaps, internationale Vergleiche und effektive Strategien zur Gleichstellung.

Der Gender Pay Gap schrumpft nur langsam

Der Gender Pay Gap ist ein hartnäckiges Problem, das in vielen Ländern weiterhin besteht. Trotz politischer Maßnahmen und Bewusstseinsbildung verdienen Frauen im Durchschnitt weniger als Männer – oft mit weitreichenden Folgen für ihre finanzielle Sicherheit. Doch die Berechnung des Gender Pay Gaps ist komplex und hängt von der Betrachtungsweise ab.

Bereinigter und unbereinigter Gender Pay Gap 2025

Wenn man nur das Gehalt pro Bruttolohnstunde betrachtet, lag Österreich 2022 bei 18,4 Prozent und bildete gemeinsam mit Estland das Schlusslicht in der EU. Deutschland lag mit 17,7 Prozent nur ein wenig weiter vorn. Betrachtet man hingegen nur die Vollzeitbeschäftigten, so lag der unbereinigte Wert 2025 bei 12,2 Prozent in Österreich und 15 Prozent in Deutschland.

Der bereinigte Gender Pay Gap beträgt derzeit 6,3 Prozent in Österreich beziehungsweise 6 Prozent in Deutschland. Dennoch arbeiten die meisten Frauen in Teilzeit, was die Aussagekraft der bereinigten Zahlen beeinflusst.

Wie sieht die Situation in Österreich undd Deutschland im internationalen Vergleich aus? Welche Faktoren tragen zum Gender Pay Gap bei, und was kann dagegen getan werden? Martina Ernst, Expertin für Vergütungsmanagement und Gleichstellung, gibt Einblicke in die aktuellen Entwicklungen und zeigt auf, welche konkreten Maßnahmen notwendig sind.

Entdecke die Zahlen zum aktuellen Gender Pay Gap in Deutschland auf unserer interaktiven Webseite:

Verpflichtende Gehaltstransparenz für Unternehmen?

Sollten Unternehmen verpflichtet werden, eine Gehaltsanalyse durchzuführen und mögliche Ungleichheiten aktiv zu korrigieren?

Um Ungleichheiten zu bekämpfen, muss man den Status quo kennen und ein klares Ziel definieren. Dafür sind Kennzahlen essenziell. Ohne klare KPIs und Zielvorgaben, die an die Verbesserung dieser Zahlen geknüpft sind, werden weder Staaten noch Unternehmen Fortschritte machen. Eine verpflichtende Gehaltsanalyse würde Transparenz schaffen und Unternehmen dazu bringen, Ungleichheiten proaktiv zu beheben.

Welche Rolle spielt Transparenz in Gehaltsstrukturen? Braucht es ein verpflichtendes Modell nach skandinavischem Vorbild?

Es geht nicht darum, dass alle Gehälter individuell veröffentlicht werden – das würde eher Chaos und Neiddebatten auslösen. Viel wichtiger ist die Transparenz von Strukturen und Prozessen. Unternehmen müssen klar kommunizieren, wie Gehälter festgelegt werden, wann Gehaltserhöhungen stattfinden, welche Kriterien dafür gelten und wer die Entscheidungen trifft. Diese Faktoren sind ohnehin Teil der neuen EU-Direktive zu Lohntransparenz und Entgeltgleichheit und werden bald verpflichtend umgesetzt.

Expertinnen-Tipps für die Gehaltsverhandlung

Frauen verhandeln seltener ihr Gehalt als Männer – was raten Sie Berufseinsteigerinnen und erfahrenen Fachkräften konkret?

Eine Studie von Pew Research Ende 2022 hat gezeigt, dass Menschen, die aktiv ihr Gehalt verhandeln, in 66 Prozent der Fälle auch eine Erhöhung erhalten. Das bedeutet: Es lohnt sich fast immer! Und was ist das Schlimmste, das passieren kann? Nichts – man bekommt einfach das ursprünglich angebotene Gehalt. Daher sollten Frauen den Mut haben, ihre Ansprüche klar zu formulieren.

Welche Fehler werden bei Gehaltsverhandlungen am häufigsten gemacht?

Einer der größten Fehler ist mangelnde Vorbereitung. Wer nicht genau weiß, was er oder sie will, kann sich schlecht durchsetzen. Ein weiterer Fehler ist es, die Arbeitgeberin oder den Arbeitgeber als Gegner zu betrachten, statt das Gespräch als Verhandlung mit gemeinsamen Interessen zu sehen. Ein professioneller, positiver Einstieg ist entscheidend, um das Gespräch in die richtige Richtung zu lenken. Auch das Stellen einer Gehaltsforderung zwischen Tür und Angel oder gar mit einer Kündigungsdrohung ist ein absolutes No-Go.

Wie können sich Frauen am besten auf eine Gehaltsverhandlung vorbereiten? Können Sie uns die vier wichtigsten Punkte verraten?

Mein Credo lautet: Wert mal vier. Es geht um den Marktwert, den Mehrwert, den Selbstwert und den Wert einer guten Vorbereitung.

  • Erstens sollten Frauen ihren Marktwert kennen. Das bedeutet, sich über branchenübliche Gehälter zu informieren, mit Kolleginnen und Kollegen zu sprechen und gegebenenfalls beim Unternehmen nachzufragen, welche Gehaltsspanne für die jeweilige Position vorgesehen ist.
  • Zweitens sollten sie sich bewusst machen, welchen Mehrwert sie für das Unternehmen bringen. Wer klare Argumente hat, warum er oder sie im oberen Bereich der Gehaltsspanne liegen sollte, hat eine bessere Verhandlungsposition.
  • Drittens spielt der Selbstwert eine Rolle. Wer sich unsicher fühlt, sollte sich stattdessen auf die Perspektive der Arbeitgeberseite konzentrieren und überlegen, welche Argumente Führungskräfte brauchen, um eine Gehaltserhöhung zu rechtfertigen.
  • Viertens ist eine gute Vorbereitung essenziell. Das bedeutet, Gegenargumente vorwegzunehmen, Alternativen anzubieten und eine Strategie zu entwickeln, wie man seine Forderungen überzeugend kommuniziert.

Gender Pay Gap schließen: wie ist das möglich?

Gibt es Branchen, in denen Frauen aktuell besonders große Chancen haben, den Gender Pay Gap aktiv zu durchbrechen?

Im öffentlichen Dienst ist die Bezahlung klar geregelt, sodass der Gender Pay Gap hier deutlich geringer ausfällt. Zudem liegt der Frauenanteil in Führungspositionen im öffentlichen Sektor mit 38,7 Prozent über dem österreichischen Durchschnitt von 32,9 Prozent. Ebenso sieht es in Deutschland mit knapp 40 Prozent Frauenanteil in Führungspositionen im öffentlichen Sektor aus. Generell ist der Gender Pay Gap weniger eine Frage der Branche als vielmehr der internen Gehaltsstrukturen und -prozesse. Unternehmen, die klare Gehaltsspannen und objektive Kriterien für Beförderungen und Gehaltsanpassungen haben, minimieren das Risiko von Gehaltsdiskriminierung. Darüber hinaus spielen flexible Arbeitsmodelle, Teilzeit-Führungspositionen und eine gute Kinderbetreuung eine entscheidende Rolle dabei, die Gehaltsschere zu schließen.

Was müsste sich aus Ihrer Sicht bis 2030 ändern, damit wir den Gender Pay Gap nachhaltig abbauen?

Um den Gender Pay Gap signifikant zu verringern, müssen Veränderungen auf drei Ebenen erfolgen.

  • Auf gesellschaftlicher Ebene sollten Eltern und Schulen frühzeitig auf Geschlechterstereotype aufmerksam machen. Studien zeigen, dass bereits fünfjährige Mädchen sich selbst für weniger geeignet in Mathematik und Technik halten als Jungen.
  • Auf staatlicher Ebene ist eine flächendeckende Kinderbetreuung mit längeren Öffnungszeiten notwendig. Außerdem sollten systemrelevante Berufe, in denen überwiegend Frauen tätig sind, finanziell aufgewertet werden.
  • Auf Unternehmensebene braucht es transparente und geschlechtsneutrale Gehaltsstrukturen, um sicherzustellen, dass weiblich dominierte Berufe nicht systematisch schlechter bewertet werden. Unternehmen sollten Gehaltsspannen pro Position veröffentlichen, um für Orientierung zu sorgen und unnötige Verhandlungen zu vermeiden. Zudem sollten Beförderungen und Gehaltsanpassungen anhand objektiver Kriterien erfolgen, statt nach subjektiver Einschätzung oder Zugehörigkeit zum „inner circle“. Jährliche Einkommensberichte könnten dabei helfen, Missstände frühzeitig zu erkennen und zu korrigieren. Auch verpflichtende Schulungen zu unbewussten Vorurteilen für Führungskräfte und HR-Teams sind ein wichtiger Schritt in Richtung Gleichstellung. Nur durch ein Zusammenspiel all dieser Maßnahmen wird es gelingen, den Gender Pay Gap bis 2030 nachhaltig zu reduzieren.

Martina Ernst

Martina Ernst ist eine erfahrene internationale Managerin, Unternehmerin, Coach, Netzwerkerin und Expertin für FairEqualPay. Sie steht für eine enge berufliche Vernetzung von Frauen, basierend auf weiblicher Solidarität. Sie pflegt eine enge Zusammenarbeit mit der WU Executive Academy (Business School der Wirtschaftsuniversität Wien) als Career Partnerin, als Vorstandsmitglied des Female Leaders Network, und des International Advisory Board, als Leiterin des People & Culture Management Course sowie als Senior Lecturer für Masterstudiengänge.