Inklusion am Arbeitsplatz - Warum es uns alle etwas angeht

Der Begriff Inklusion kommt aus dem Lateinischen und bedeutet einschließen oder einbeziehen. Wenn im alltäglichen Sprachgebrauch die Rede von Inklusion ist, geht es um die barrierefreie Einbeziehung von Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung. Das Ziel von Inklusion ist es, dass alle Menschen die gleichen Chancen haben – unabhängig davon, ob sie eine Behinderung haben oder nicht. Beruf und Job bestimmen einen großen Teil unseres Lebens. Um als Mensch mit Behinderung ein selbstbestimmtes Leben führen zu können, ist die Inklusion am Arbeitsplatz Grundvoraussetzung.

Welchen rechtlichen Vorgaben müssen Unternehmen folgen? Was genau bedeutet Barrierefreiheit am Arbeitsplatz? Und weshalb ist das Thema auch für Menschen ohne Behinderung relevant? Wir haben alles Wissenswerte zusammengefasst.

Inklusion: Ein paar Fakten vorweg

10,4 Millionen Menschen in Privathaushalten in Deutschland haben eine anerkannte Behinderung. Das sind immerhin 13 Prozent der Bevölkerung. Zum Jahresende 2019 lebten rund 7,9 Millionen schwerbehinderte Menschen in Deutschland. Laut Statistischem Bundesamt waren im Jahr 2019 nur 57 Prozent der Menschen mit Behinderung zwischen 15 und 64 Jahren in den Arbeitsmarkt integriert. Inklusion behinderter Menschen am Arbeitsplatz ist also bei weitem noch keine Selbstverständlichkeit. Aus Sicht von Gregor Demblin, Gründer der Unternehmensplattform myAbility, verschenken Unternehmen dadurch eine Chance:

„Einerseits suchen Unternehmen nach wie vor verzweifelt nach Fachkräften, andererseits werden Menschen mit Behinderung bei der Suche komplett ausgeklammert.“

Gregor Demblin im kununu Interview

Viele Unternehmen denken gar nicht darüber nach, Stellen mit Personen mit Behinderung zu besetzen.

„Grund dafür sind vor allem die Barrieren in den Köpfen. Zu viele sehen immer noch nicht, dass Menschen mit Behinderung arbeiten können und wertvolle Arbeitskräfte sind.“

Zum ganzen Interview mit Gregor Demblin

Inklusion im Alltag – die rechtlichen Grundlagen

Das Behinderten-Gleichstellungs-Gesetz (BGG) ist in Deutschland seit 2002 in Kraft. Es soll dabei helfen, die gleichen Rechte für Behinderte im Alltag umzusetzen. Staatliche Ämter und Träger, die der Bundesverwaltung unterstehen, sind dazu verpflichtet, das BGG anzuwenden und für Barrierefreiheit zu sorgen. Das bedeutet unter anderem:

  • Gebäude müssen barrierefrei sein.
  • Inhalte auf Webseiten oder in Broschüren müssen auch für Menschen mit Behinderung verständlich und leicht nutzbar sein.

Der Geltungsbereich des BGG beschränkt sich allerdings auf Einrichtungen, die sich öffentlicher Hand befinden. Es gilt nicht für privatwirtschaftliche Unternehmen, Geschäfte, Restaurants oder Kultureinrichtungen. Somit ist sein Wirkungsgrad beschränkt und hat auf Arbeitsplätze in der Privatwirtschaft kaum Auswirkungen.

"Hier sind alle gleich, ob Männlein oder Weiblein, groß oder klein gewachsen, mit oder ohne Behinderung, egal welche Farbe. Hauptsache man führt seine Aufgaben aus."

Inklusion am Arbeitsplatz – die rechtlichen Grundlagen

In Deutschland wurde 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert. Die Konvention stellt klar: Die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ist ein Menschenrecht, kein Akt der Fürsorge oder Gnade, das gilt auch für den Arbeitsmarkt. Die Konvention fließt unter anderem in das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Das AGG nimmt privatwirtschaftliche Unternehmen in die Pflicht: Es untersagt eine Benachteiligung durch den Arbeitgeber aufgrund einer Behinderung.

So sind Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitenden unter anderem dazu verpflichtet, fünf Prozent der Stellen mit Personen mit einer schweren Behinderung zu besetzen. Menschen mit einem Grad der Behinderung von 50 und mehr gelten als schwerbehindert. Unternehmen, die nicht die vorgeschriebene Anzahl schwerbehinderter Menschen beschäftigen, müssen eine Ausgleichsabgabe entrichten. Die Abgabe kommt Integrationsstellen und der Bundesagentur zugute, die Maßnahmen zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen finanziert.

Warum stellen so wenig Unternehmen Mitarbeitende mit Behinderung ein?

Rául Krauthausen ist Aktivist für Inklusion und Barrierefreiheit und Gründer des Netzwerkes Sozialhelden e.V. Im Gespräch mit Unternehmen hört er immer wieder, dass keine Menschen mit Behinderung eingestellt werden, weil sich keine bewerben. Für Krauthausen ist das eine Ausrede. Die Ausgleichsabgabe stellt für ihn keinen Anreiz dar, sich als Unternehmen für Mitarbeitende mit Behinderung zu öffnen. Gregor Demblin sieht die Probleme bereits im Bewerbungsprozess:

„Betroffene Personen sehen meist nur zwei Möglichkeiten: Entweder versuchen sie, ihre Behinderung – sofern das möglich ist – zu verstecken und erst gar nicht anzusprechen. Das geht aber dauerhaft nicht gut. Sie können ihre Arbeit aufgrund von Einschränkungen und fehlenden Hilfsmitteln oftmals nicht richtig ausführen und ihre volle Leistung nicht erbringen.”

Gregor Demblin im kununu Interview

Die zweite Option bewertet Demblin als wenig besser. Wer die eigene Behinderung offen anspreche, werde direkt aussortiert.

„Gerade Personen mit offensichtlicher Behinderung werden von Unternehmen und Personalverantwortlichen von vornherein als weniger leistungsfähig eingestuft.”

Zum ganzen Interview mit Gregor Demblin

Gregor Demblin hat aus diesem Grund myAbility gegründet. Die Plattform informiert Unternehmen und begleitet sie bei der Umsetzung von Barrierefreiheit. Wie so oft wirkt Information und Austausch Wunder: Über 90 Prozent der Unternehmen, mit denen myAbility zusammenarbeitet, sind zufrieden mit den Ergebnissen der Umsetzung von Barrierefreiheit im Betrieb. Bleibt zu hoffen, dass mehr und mehr Unternehmen feststellen, dass sie profitieren, wenn sie sich für Mitarbeiter:innen mit Behinderung öffnen.

Lebt ein Unternehmen Inklusion? Worauf du in der Stellenanzeige achten solltest

Hast du eine Behinderung, dann fällt es dir sicherlich nicht einfach, Unternehmen, die Inklusion leben, von anderen zu unterscheiden. Inklusionsaktivist Rául Krauthausen ist der Meinung, dass Unternehmen viel tun, um attraktiv zu sein für Bewerber:innen mit Behinderungen. Das beginnt laut Krauthausen bei der Gestaltung der Bewerbungsprozesse und bei den Formulierungen in den Stellenanzeigen:

"Bewerbungsprozesse können flexibel gestaltet werden, dass sich zum Beispiel auch Autist:innen ohne Hindernisse bewerben können. Stellenanzeigen können barrierefrei gestaltet werden und Menschen mit Behinderungen einladend und explizit erwähnen."

Rául Krauthausen in seinem Gastbeitrag auf kununu

Worauf du achten solltest:

  • Werden Bewerber:innen mit Behinderung explizit angesprochen in der Bewerbung?
  • Wird genau beschrieben, wie das Unternehmen Barrierefreiheit umsetzt?
  • Ist der Bewerbungsprozess flexibel (gibt es zum Beispiel eine Alternative zum persönlichen Gespräch für das Erstscreening)?
  • Gibt es eine:n Ansprechpartner:in im Unternehmen für Inklusionsfragen?
  • Gibt es flexible Arbeitszeiten sowie Ruheräume im Unternehmen?

Wie sieht ein barrierefreier Arbeitsplatz aus?

An einem barrierefreien Arbeitsplatz kommt ein Mensch mit Behinderung genauso gut zurecht wie ein Mensch ohne Behinderung. Das bedeutet unter anderem, dass Gänge breit genug sind, dass es Lifts gibt, die auch mit einem Rollstuhl nutzbar sind, dass Arbeitstische in der Höhe verstellt werden können. Auch die Software sowie alle Kommunikationssysteme sind für Menschen mit Behinderung ohne Einschränkung nutzbar. Fluchtwege sowie Notausgänge müssen für Menschen mit Behinderung genauso erreichbar sein wie Aufenthaltsräume, Kantinen und WCs. Was genau für einen barrierefreien Arbeitsplatz umgesetzt werden muss, ist in den Technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR) festgehalten. Technisch sind nur Unternehmen, bei denen bereits Menschen mit einer schweren Behinderung arbeiten, dazu verpflichtet, barrierefreie Arbeitsplätze anzubieten. Sicherlich ist auch dies ein Grund, weshalb barrierefreie Arbeitsplätze nach wie vor eher die Ausnahme darstellen. Natürlich entstehen Kosten, wenn Arbeitsplätze barrierefrei umgestaltet werden: Allerdings gibt es finanzielle Unterstützung für Unternehmen, zum Beispiel über das Budget für Arbeit.

Inklusion am Arbeitsplatz: Ein Thema, das für alle relevant ist

Rául Krauthausen bringt es auf den Punkt:

„Der Behindertenbewegung (…) geht es nicht um eine Unterscheidung in behindert und nicht behindert. Es geht vielmehr um behindert und zeitweise nicht behindert. Entweder, wenn wir noch zu klein sind und Erwachsene für uns entscheiden oder aber, wenn wir älter werden und uns freuen, wenn es im Gebäude einen Aufzug gibt, weil wir vielleicht nicht mehr so gut zu Fuß sind.“

Rául Krauthausen im kununu Interview

In Zeiten steigender Lebenserwartung und steigendem Renteneintrittsalter ist abzusehen, dass immer mehr Menschen im Laufe ihres Berufslebens zeitweise durch eine Behinderung beeinträchtigt sein werden. Viele Unternehmen haben bereits jetzt große Probleme, gut ausgebildetes Fachpersonal zu finden, und der Fachkräftemangel wird sich weiter verschärfen. Allein vor diesem Hintergrund erscheint es als nachhaltig, wenn Unternehmen daran arbeiten, ihre Arbeitsplätze barrierefrei zu gestalten und sich zu öffnen für Menschen mit Behinderung. Immer mehr Unternehmen erkennen, wie sehr sie von Vielfalt unter ihren Mitarbeiter:innen profitieren: Menschen wollen sich am Arbeitsplatz nicht verstecken müssen wegen ihrer sexuelle Orientierung, ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft, ihrem Alter oder aufgrund einer Behinderung. Wer sich frei entfalten kann, ohne Diskriminierung zu erfahren, fühlt sich wohl am Arbeitsplatz, ist motiviert und loyal.

Beratungsstellen für Betroffene & Angehörige

Egal, ob es um die Feststellung der Schwere einer Behinderung, Beratung oder psychologische Unterstützung geht: Wir haben für dich verschiedene Anlaufstellen gesammelt, die du als Betroffene:r oder Angehörige:r aufsuchen kannst und die sich kompetent und diskret mit deinem Anliegen auseinandersetzen.

  • Die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) unterstützt und berät Menschen mit Behinderungen, von Behinderung bedrohte Menschen, aber auch deren Angehörige unentgeltlich bundesweit zu Fragen der Rehabilitation und Teilhabe. 
  • Der Sozialverband Deutschland (SoVD) ist eine soziale, humanitäre und sozialpolitische Selbsthilfeorganisation. Der SoVD bietet niederschwellige Beratungsangebote und Hilfe bei Anträgen zu Teilhabenleistungen.
  • Auch die lokalen Einrichtungen der Caritas und der Arbeiterwohlfahrt (AWO) bieten Unterstützung und Beratung.
  • In Österreich bieten die Landesstellen des Sozialministeriumsservice Beratung und Unterstützung sowie die Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehbehinderten.
  • In der Schweiz berät der gemeinnützige Verein Pro Infirmis Menschen mit Behinderung und deren Familien.

letztes Update: 22. April 2022