Zum Inhalt springen

Der Achtstundentag wackelt: Was sind die Folgen für Beschäftigte?

„Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Freizeit, acht Stunden Schlaf“ – was wie ein nostalgischer Werbeslogan klingt, ist in Wahrheit eine echte historische Begebenheit. Seit dem 19. Jahrhundert ist der Achtstundentag das Symbol für faire Arbeitszeiten. Eine Errungenschaft der Arbeiter:innenbewegung, die endlich klare Grenzen zwischen Job und Privatleben zog. Doch jetzt gerät dieses Prinzip ins Wanken.

Warum die Höchstarbeitszeit in aller Munde ist

Bundeskanzler Friedrich Merz brachte kürzlich Bewegung in eine alte Debatte: Er sprach sich für die Abschaffung des gesetzlich verankerten Achtstundentags aus. Statt fester täglicher Höchstarbeitszeit soll es eine flexiblere Regelung geben – angepasst an moderne Lebens- und Arbeitswelten. Der Vorschlag ist bislang keine beschlossene Sache, aber er schlägt hohe Wellen und wird heftig diskutiert. Denn er betrifft Millionen Beschäftigte, verändert mögliche Arbeitsrealitäten – und lässt viele fragen: Geht es dabei um Freiheit oder um die Aushöhlung von Rechten? Steht die wichtige Errungenschaft vor dem Aus? Geraten die Grundpfeiler des Arbeitsrechts ins Wanken? Wir beleuchten in diesem Artikel die Vor- und Nachteile einer möglichen Abschaffung.

Mehr Freiheit durch Flexibilität? Das verspricht die Reform

Befürworter:innen der Reform argumentieren: Der klassische Achtstundentag passe nicht mehr in die heutige Arbeitswelt. Gerade in wissensbasierten Berufen sei Projektarbeit oft nicht in starre Tages- und Arbeitszeiten zu pressen. Die Idee: Wenn du an einem Tag zehn Stunden durcharbeitest, darfst du dafür am nächsten vielleicht früher Schluss machen. Oder etwa an drei Tagen die Woche zwölf Stunden arbeiten und dafür zwei Tage zusätzlich zum Wochenende frei haben. Dadurch entstünde mehr Autonomie und Selbstbestimmung.

Auch Lebensrealitäten haben sich verändert. Wer Kinder betreut, Angehörige pflegt oder einfach gerne morgens früher beginnt, braucht mehr Spielraum. Ein modernes Arbeitszeitgesetz müsse dem Rechnung tragen – sagen die Verfechter:innen.

Das zeigt sich auch auf kununu: Flexible Arbeitszeiten zählen zu den meistgeschätzten Benefits, die Beschäftigte angeben. Besonders gut schneiden in diesem Punkt Unternehmen aus der IT-, Beratungs- und Kreativbranche ab. Hier berichten Mitarbeitende von Vertrauensarbeitszeit, Gleitzeitmodellen oder der Möglichkeit, den Arbeitstag nach eigenem Rhythmus zu strukturieren.

Doch das ist die Idealversion. Die Realität sieht oft anders aus.

Die Kehrseite: Permanenter Druck, Selbstausbeutung, Burnout?

Kritiker:innen warnen: Die geplante Reform könnte mehr Nachteile als Vorteile bringen – zumindest dann, wenn der Schutzrahmen für Beschäftigte nicht klar geregelt ist. Denn „flexibel“ kann auch heißen: Immer erreichbar. Ständige Verfügbarkeit. Kein klares Ende des Arbeitstags. Und auch Umfragen, etwa die des Deutschen Gewerkschaftsbundes, zeigen: Länger als acht Stunden am Tag arbeiten möchte kaum jemand – und schon gar nicht länger als zehn Stunden (98 Prozent).

Gerade in Branchen ohne starke Betriebsräte oder tarifliche Regelungen könnte das zur Selbstausbeutung führen. Beschäftigte wollen ihre Aufgaben gut machen – und setzen sich oft selbst unter Druck, wenn klare Grenzen fehlen.

Ein Blick in die kununu-Daten zeigt: Branchen wie Pflege, Gastronomie und Agenturen schneiden beim Thema Work-Life-Balance schlechter ab. Hohe Belastung bis hin zum Burnout, schlechte Planbarkeit und struktureller Personalmangel sind hier Alltag. In solchen Bereichen würde eine Aufweichung des Achtstundentags kaum mehr Freiheit bedeuten – sondern eher das Gegenteil.

Denn wer kontrolliert am Ende, ob aus zehn Stunden am Montag tatsächlich nur sechs am Dienstag werden? Und wer sorgt dafür, dass unbezahlte Überstunden nicht zur stillschweigenden Norm werden? Wirklich am nächsten Tag nach nur fünf oder sechs Stunden die Arbeit zu beenden würden sich nur die wenigsten trauen, wenn das System nicht auf einem für alle fairen Fundament ohne Druck steht.

Steuerfreie Überstunden: Anreiz oder Alibi?

Parallel zur Arbeitszeitdebatte geistert ein weiterer Vorschlag durch Politik und Medien: steuerfreie Überstunden. Die Idee dahinter: Wer mehr arbeitet, soll netto mehr davon haben. Klingt erstmal gut – besonders in Zeiten hoher Inflation. Auf den ersten Blick könnten Beschäftigte profitieren: Sie erhalten mehr Geld für ihre zusätzliche Zeit, ohne dass der Großteil an den Fiskus geht. Unternehmen wiederum hätten ein neues Argument in Zeiten von Fachkräftemangel: „Bleibt doch etwas länger – das lohnt sich jetzt richtig.“

Doch auch hier ist Vorsicht geboten. Denn steuerlich begünstigte Überstunden könnten schnell zum Geschäftsmodell werden. Wenn Mehrarbeit weniger kostet, wächst der Anreiz für Unternehmen, den Personalbedarf über Überstunden zu decken – statt über Neueinstellungen. Die Folge: Überstunden werden nicht mehr Ausnahme, sondern Regel. Langfristig könnte das zu einer strukturellen Überlastung führen – besonders in Berufen, in denen schon jetzt kaum Pausen möglich sind. Und das Gegenteil von echter Flexibilität wäre erreicht. Mitarbeitende könnten Arbeit und Freizeit schlechter planen: Wann ist wirklich Feierabend?

Wie es besser geht, zeigen Unternehmen mit transparenten Arbeitszeitmodellen und klaren Regeln für Überstunden. Auf kununu berichten viele Mitarbeitende, dass faire Vergütung, Zeitausgleich oder Obergrenzen existieren – aber eben nicht überall.

Notwendige Evolution oder Risiko – wie sieht die Arbeitswelt von morgen aus?

Was bedeutet das alles nun für dich als Arbeitnehmer:in?

Erstens: Noch ist nichts beschlossen. Die Vorschläge von Bundeskanzler Friedrich Merz und anderen Stimmen aus der Politik sind Teil einer Debatte – keine Reform ist bislang durchgesetzt.

Zweitens: Es lohnt sich, genau hinzusehen. Flexibilität kann ein Gewinn sein – aber nur, wenn sie fair geregelt ist und nicht einseitig zulasten der Beschäftigten geht. Ohne klare Regeln könnten Überstunden, Dauerstress und Unsicherheit drohen.

Drittens: Die beste Flexibilität ist die, die du selbst mitgestalten kannst. Dafür braucht es Unternehmen, die Verantwortung übernehmen – und Mitarbeitende, die ihre Bedürfnisse klar kommunizieren dürfen.

Ob die Abschaffung des Achtstundentags ein Fortschritt oder Rückschritt wird, entscheidet sich nicht nur im Bundestag – sondern auch in den Betrieben. Und letztlich auch durch den Druck von Beschäftigten, die wissen, was ihnen zusteht.

Du möchtest tiefer in die Geschichte des Achtstundentages eintauchen? Weitere Informationen findest du unter anderem hier.

Und wie sieht es bei dir aus?

Wie flexibel sind deine Arbeitszeiten? Wie fair wird mit Überstunden umgegangen?
Bewerte jetzt dein Unternehmen auf kununu – und hilf anderen dabei, bessere Arbeitgeber:innen zu finden.