Religiöse Vielfalt: Alles zum Thema Religion am Arbeitsplatz
Inhaltsverzeichnis
Arbeitnehmer:innen setzen auf Unternehmen, in denen Vielfalt gelebt wird: Zwei Drittel der Befragten in einer Studie von truffls in Kooperation mit Respondi gaben an, dass es ihnen wichtig ist, welche Haltung ihr Unternehmen zu Diversity-Fragen hat. Vielfalt am Arbeitsplatz bedeutet, dass Unternehmen offen sind für alle Mitarbeiter:innen, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Alter, ihrem Geschlecht, ihrer sexuellen Orientierung – und ihrem Glauben oder ihrer Weltanschauung. Wie können Unternehmen religiöse Vielfalt umsetzen, was ist der rechtliche Rahmen und was solltest du als Mitarbeiter:in beachten – wir haben die wichtigsten Fakten zusammengefasst.
Religiöse Vielfalt am Arbeitslatz: die Rechtslage
Die Länder im deutschsprachigen Raum sind geschichtlich bedingt christlich geprägt. Durch Zuwanderung findet jedoch eine immer stärkere religiöse Durchmischung statt.
Religionen in Deutschland (Stand 2022):
- 20,9 Mio Mitglieder der römisch-katholischen Kirche
- 19,15 Mio Mitglieder der evangelischen Kirche
- 5,5 Mio Muslime
- 1,7 Mio Mitglieder der orthodoxen Kirche
- 300.000 Buddhisten
- 100.000 Hindus
- 100.000 Anhänger:innen des jesidischen Glaubens
- 90.000 Anhänger:innen des Judentums
Diese religiöse Vielfalt spiegelt sich überall in der Gesellschaft: in Schulen, Kita, im kulturellen und sozialen Leben sowie am Arbeitsplatz. Das Grundgesetz garantiert allen Menschen religiöse Freiheit. Das bedeutet, dass jede Person ihre Religion oder Weltanschauung frei ausleben kann, ohne dabei die Rechte anderer zu verletzten. Das Recht auf religiöse Freiheit gilt auch im Arbeitsleben. Das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) verbietet eine Benachteiligung unter anderem wegen der Religion in Beschäftigung und Beruf. Durch das AGG ist nicht nur die Zugehörigkeit zu einer Religion oder Weltanschauung geschützt, sondern auch das öffentliche Bekenntnis dazu. Das bedeutet, dass das Tragen religiöser Kleidung oder Symbole (zum Beispiel ein Kopftuch oder eine Kette mit Kreuz) sowie die Ausführung religiös motivierter Handlungen (zum Beispiel Beten oder Fasten) am Arbeitsplatz erlaubt sind. Dieser Schutz gilt für alle Arbeitsverhältnisse und für alle Phasen der Beschäftigung. Unternehmen dürfen also beispielsweise Einstellungsentscheidungen nicht auf der Basis der Religion eines:einer Bewerber:in treffen.
Pflichten von Unternehmen
Unternehmen sind verpflichtet, ihre Angestellten vor religiöser Diskriminierung durch Kolleg:innen, Vorgesetzte oder geschäftliche Partner:innen zu schützen. In jedem Unternehmen muss es eine Anlaufstelle geben, an die sich Beschäftigte im Fall von religiöser Diskriminierung wenden können.
Religion am Arbeitsplatz: deine Rechte als Mitarbeiter:in
Als Mitarbeiter:in hast du das Recht auf Religionsfreiheit am Arbeitsplatz. Solltest du religiöse Diskriminierung im Job erfahren, beispielsweise durch Kolleg:innen, Vorgesetzte oder Lieferant:innen oder Kund:innen, kannst du das im Unternehmen melden. Dein Arbeitgeber muss deine Beschwerde prüfen und Schritte gegen die Diskriminierung unternehmen.
Im beruflichen Alltag hat die Rücksichtnahme auf Religion und Weltanschauung jedoch Grenzen, denn der Job beziehungsweise die Arbeitsleistung der Mitarbeiter:innen stehen im Vordergrund. Die Ausübung deiner Religion oder deines Glaubens darf also nicht deine Arbeitspflicht einschränken. Angestellte sollten ihre Religionszugehörigkeit auch nicht so sehr in den Vordergrund stellen, dass sich andere dadurch beeinflusst fühlen.
"Hier stehen Vielfalt und Chancengleichheit unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, ethnischer Herkunft, Alter, Behinderung oder Religion im Zentrum unseres täglichen Handelns. Diskriminierung lehnen wir ab und verfolgen diese ebenso wie Belästigung am Arbeitsplatz mit aller Konsequenz."
Kopftuchverbot am Arbeitsplatz?
Viele Diskussionen um religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz drehen sich um das Tragen von Kopftüchern muslimischer Frauen. Grundsätzlich gilt: Das Tragen eines Kopftuchs oder eines anderen religiösen Symbols am Arbeitsplatz darf vom Arbeitgeber nicht verboten werden. Allerdings kann ein Kopftuchverbot am Arbeitsplatz dann rechtens sein, wenn das Tragen einer Kopfbedeckung eine Gefahr darstellt oder den reibungslosen Ablauf im Unternehmen gefährdet. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn an Maschinen gearbeitet wird, in die ein Kopftuch gelangen könnte. Unternehmen können aus Sicherheitsgründen auch Vorgaben zur Beschaffenheit von Kopfbedeckungen machen (zum Beispiel nur Kopftücher aus schwer entflammbarer Baumwolle). Die Hürden für ein Kopftuchverbot durch Arbeitgeber sind sehr hoch. Dies hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) 2021 mit zwei Urteilen bestätigt.
Beten während der Arbeitszeit
Grundsätzlich gilt: Deine Pausenzeit kannst du nutzen, wie du es möchtest. Wenn du also zum Beispiel in der Mittagspause betest, kann dein Arbeitgeber dir dies nicht untersagen. Grundsätzlich ist das Beten als Ausübung der Religion am Arbeitsplatz geschützt. Es gibt jedoch keine klaren gesetzlichen Regelungen zum Beten während der Arbeitszeit. Wenn du regelmäßig während deiner Arbeitszeit beten möchtest, solltest du dies mit deinem Arbeitgeber besprechen, um einem Konflikt vorzubeugen.
Außerdem gilt die Religionsfreiheit am Arbeitsplatz nicht uneingeschränkt. Du darfst wegen des Betens also nicht deine Arbeitspflicht verletzen. Wie immer ist es wichtig, auf die anderen zu schauen: Wenn deine Kolleg:innen nicht weiterarbeiten können, weil du betest, oder wenn der Betriebsablauf dadurch beeinflusst wird, solltest du die Pause besser verschieben.
Übrigens: Wenn durch regelmäßige Gebetspausen der Arbeitsablauf oder der Betriebsfrieden gestört werden, können Unternehmen diese verbieten. Der Islam erlaubt es Gläubigen, das Gebet nachzuholen.
Fasten am Arbeitsplatz
In nahezu allen Weltreligionen gibt es Fastenzeiten. Im Islam gilt während des Ramadans eine vierwöchige Fastenzeit, in der Gläubige nur nach Sonnenuntergang und vor Sonnenaufgang essen und trinken dürfen. Auch das Fasten am Arbeitsplatz ist durch die Religionsfreiheit geschützt. Unternehmen können ihren Mitarbeitenden das Fasten nicht verbieten, selbst wenn sie befürchten, dass die Arbeitsleistung darunter leidet. Ausnahmen gibt es, wenn der Betriebsablauf oder die Sicherheit der Kolleg:innen gefährdet sind (dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn aufgrund von fehlender Konzentration durch Nahrungsentzug Maschinen nicht rechtmäßig bedient werden).
Übrigens: Ähnlich wie beim Beten erlaubt der Islam es, Fastenzeiten nachzuholen. Dies gilt für Schwangere, Kranke und Menschen, deren Arbeit das Fasten erschwert.
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Wie religiöse Vielfalt am Arbeitsplatz gelingen kann
Die Offenheit gegenüber unterschiedlichen Religionen wird auf Management-Ebene getroffen. Damit religiöse Vielfalt am Arbeitsplatz gelingt, muss sie auf allen Ebenen gelebt werden. Es gilt, eine Atmosphäre zu schaffen, in der bei Bedarf sensible und eher private Themen thematisiert werden können. Das heißt nicht, dass jede:r im Unternehmen seinen Glauben oder seine Weltanschauung offenlegen muss. Im Gegenteil: Fragen zur Religionszugehörigkeit vom Unternehmen, beispielsweise im Bewerbungsprozess, gelten als diskriminierend und sind verboten. Vielmehr geht es darum, ein offenes Miteinander zu etablieren, damit Mitarbeiter:innen sich nicht scheuen, ihre Bedürfnisse anzusprechen, zum Beispiel wenn es ums Beten am Arbeitsplatz geht. Denn nach wie vor ist Offenheit das beste Mittel, um Konflikte zu vermeiden.
Was Unternehmen tun können, um religiöse Vielfalt zu etablieren:
1. Verankerung im Leitbild
Im Leitbild definiert ein Unternehmen seine Grundprinzipien. Unternehmen, die Vielfalt am Arbeitsplatz etablieren wollen, sollten dieses Verständnis in ihrem Leitbild entsprechend formulieren und offen in- und extern kommunizieren.
2. HR und Recruiting
Die Zugehörigkeit zu einer Religion darf laut Gesetz kein Kriterium sein bei der Einstellung von Mitarbeiter:innen. Die Praxis entspricht dem nicht immer. So müssen laut einer Studie des Bonner Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) muslimische Frauen mit Kopftuch für eine Einladung zum Bewerbungsgespräch mehr als vier Mal so viele Bewerbungen verschicken wie Bewerberinnen mit identischer Qualifikation. Um die HR- und Recruiting-Prozesse neutral und unabhängig zu gestalten, bedarf es interner Grundsätze und Regeln.
- Anonymisierte Bewerbungsprozesse bieten die Chance, benachteiligende Entscheidungsfaktoren auf dem Weg von der schriftlichen Bewerbung bis zum Vorstellungsgespräch auszuschließen.
- Standardisierte Verfahren im weiteren Prozess helfen, den Fokus auf vorher festgelegte objektive Profilkriterien zu richten.
- Diversity-Trainings zur interkulturellen und interreligiösen Sensibilisierung können eine diskriminierungsfreie Personalauswahl fördern.
3. Arbeitsabläufe
Unternehmen können eine ganze Reihe von Dingen tun, um (religiöse) Vielfalt im Arbeitsalltag selbstverständlich zu machen. Hier einige Handlungsbeispiele:
- Flexible Arbeitszeiten: Diese sind für die meisten Arbeitnehmer:innen attraktiv. Gläubigen Personen helfen sie, religiösen Pflichten und Feiertagen nachzukommen.
- Allgemein zugängliche Gebetsräume oder Räume der Ruhe: Unternehmen, die Räume zum Rückzug, zum Beten oder zur Mediation schaffen, machen es ihren Mitarbeiter:innen leichter, ihren Glauben in den beruflichen Alltag zu integrieren.
- Vielfältiges Kantinenangebot: Verpflegungsangebote vom Unternehmen sollten religiös bedingte Essgewohnheiten und -einschränkungen berücksichtigen.
- Transparentes Konfliktmanagement: Wo Vielfalt gelebt wird, treffen unterschiedliche Überzeugungen und Meinungen aufeinander und es kann zu Diskussionen und Konflikten kommen. Unternehmen sollten darauf vorbereitet sein und festgelegt haben, wie mit Konflikten umgegangen wird und welche Schritte zur Lösung von Konflikten unternommen werden.
letztes Update: 12. Mai 2022