Fachkräftemangel – was es damit auf sich hat

In den politischen Debatten zum Arbeitsmarkt ist immer wieder von einem akuten Fachkräftemangel die Rede. Kein Wunder, denn der Fachkräftemangel in Deutschland und Österreich befindet sich laut Statistiken auf einem Allzeithoch. Ob Erzieher:innen, Informatiker:innen oder Handwerker:innen: Arbeitgeber suchen händeringend nach Personal. Dabei gilt jedoch zu differenzieren: Erleben wir einen realen Mangel an qualifiziertem Personal oder einen Mangel an Bewerber:innen aufgrund mangelhafter Verträge und Arbeitsbedingungen?

Wir haben für dich alles Wissenswerte zum Thema Fachkräftemangel, mögliche Gründe und Ursachen der Problematik zusammengefasst und zeigen dir, was wir gemeinsam tun können, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Was bedeutet Fachkräftemangel?  

Unter dem Begriff Fachkräftemangel versteht man zunächst den Fall, dass die Nachfrage an Fachkräften in einem bestimmten Bereich ungedeckt bleibt. Folglich haben Unternehmen eine größere Anzahl an offenen Stellen als dafür zur Verfügung stehende qualifizierte Fachkräfte. Es herrscht also eine Knappheit an Arbeitskräften, die eine passende akademische Ausbildung oder Berufsausbildung abgeschlossen haben. Das kann unter Umständen die gesamte Wirtschaft betreffen, meistens jedoch nur einzelne Berufsgruppen, Branchen oder Regionen.  

Fachkräftemangel auf dem Allzeithoch 

Nach den Pandemiejahren gestaltet sich für Arbeitgeber die Suche nach geeignetem Personal sehr viel schwieriger als zuvor. Während es im Juni 2020 noch einen ungedeckten Bedarf an rund 180.700 Fachkräften gab, stieg dieser im Frühling 2022 auf den Höhepunkt von 540.000. Auch in Österreich, sowie der Schweiz erreicht der Fachkräftemangel mit jeweils über 200.000 offenen Stellen ein Allzeithoch.   

Ob in akademischen Berufen in den Branchen Medizin oder MINT, also Fachrichtungen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, oder zahlreichen Ausbildungsberufen: Die Engpässe sind überall zu finden. Besonders betroffen sind die Bereiche Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung. Hier können in Deutschland bis zu 60 Prozent der offenen Stellen nicht besetzt werden. Aber auch die Bereiche Bau, Architektur, Land- und Tierwirtschaft, Luftverkehr, Geografie, Informatik und Energietechnik sind von einem Mangel an Fachkräften betroffen. 

"Dank Fachkräftemangel werden vermehrt auch ältere eingestellt. Die Fluktuation hat sich verstärkt. Warum im Baumarkt schuften wenn man auch woanders wesentlich angenehmer arbeiten kann?"

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Auswirkungen des Fachkräftemangels

Die Auswirkungen des Fachkräftemangels sind vielschichtig: Nicht nur einzelne Unternehmen sind davon betroffen, die Folgen sind auch in der gesamten Wirtschaft und unserem Alltag spürbar. Für die Unternehmen stellt einer Studie zufolge der Fachkräftemangel mittlerweile sogar das größte Risiko für den Erfolg eines Unternehmens dar- noch vor steigenden Rohstoff- und Energiekosten. Rund 49,7 Prozent der Unternehmen in Deutschland müssen aufgrund Personalmangels ihre Geschäfte einschränken. Auch in Österreich und der Schweiz müssen Unternehmen Umsatzeinbußen hinnehmen

Daher begegnen uns die Folgen auch bereits im alltäglichen Leben. Lange Wartezeiten im Restaurant, Flugausfall, da zu wenig Pilot:innen zur Verfügung stehen, oder der Termin mit dem:der Handwerker:in, der sich um ein paar Monate verschiebt – die Liste an betroffenen Bereichen ist lang.

Wie kommt es zu dem Fachkräftemangel?  

"Wo sind all die Menschen hin?", fragst du dich sicherlich. Zwar hat die Corona-Pandemie und die Auswirkungen auf einzelne Berufsgruppen wie Pflegekräfte oder Gastronomiefachkräfte dafür gesorgt, dass einige die Branche wechseln, aber das allein kann wohl kaum verantwortlich sein für den derzeitigen branchenübergreifenden Fachkräftemangel, oder? Wir nennen dir verschiedene Gründe für den Fachkräftemangel:

Folgen der Pandemie auf den Fachkräftemangel 

Corona hat unsere Arbeitswelt auf den Kopf gestellt. Während manche Branchen durch Homeoffice und flexible Arbeitszeiten durchaus positive Entwicklungen erlebten, verschärften sich die Arbeitsbedingungen in anderen Branchen deutlich. Insbesondere Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen sind betroffen: Durch eine deutlich höhere Belastung der Spitäler und zermürbende Arbeitszeiten finden sich kaum mehr Fachkräfte. Auf Twitter kursiert seit Beginn der Pandemie der Hashtag #Pflexit: Mittlerweile verlassen mehr Menschen den Beruf der Pflege als neu dazu kommen.

In den USA beobachtet man bereits seit 2021 eine große Welle an freiwilligen Kündigungen. Dieses Massenphänomen wird mit dem Begriff The Great Resignation beschrieben. Demnach haben viele Arbeitnehmer:innen mit verantwortungsvollen Posten nach Monaten der Pandemie mit hoher Arbeitsbelastung, Unsicherheit, Einstellungsstopps und Leistungsdruck einen Schlussstrich gezogen. Es findet ein Umdenken der Beschäftigten statt, die unter ständigem Arbeitsdruck leiden, von ihren schlecht bezahlten Jobs enttäuscht sind und sich Ungerechtigkeiten in Wirtschaft und Arbeitsmarkt nicht länger gefallen lassen wollen. 

Doch nicht alle Fachkräfte kündigen freiwillig. So mussten beispielsweise viele Pilot:innen während Corona ihren Job aufgeben und bei der Bahn als Lokführer:in oder im Nahverkehrsbereich arbeiten. Techniker:innen aus der Luftverkehrsbranche sind in den Automobilbereich gewechselt und Gastronomiefachkräfte arbeiten vielfach in Büros. Corona scheint also durch schlechte Arbeitsbedingungen, Kurzarbeit und Schließungen einige Jobwechsel gefördert zu haben.

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Demografischer Wandel und die Generation Z  

Ein weiterer Grund ist der demografische Wandel. Studien gehen aufgrund der niedrigen Geburtsrate in Deutschland davon aus, dass bis 2030 etwa 3,9 Millionen weniger Arbeitskräfte zur Verfügung stehen werden. In der derzeit immer älter werdenden Gesellschaft scheiden die „Babyboomer“ aufgrund der Rente aus und es fehlt an jungen qualifizierten Arbeitskräften, um diesen Wegfall auszugleichen. Darüber hinaus ist die "Generation Z", also junge Menschen, die zwischen 1995 und 2010 geboren sind, etwas wählerischer: Der Beruf sollte nicht nur den Lebensunterhalt sichern, sondern eine sinnvolle Tätigkeit sein, in der Karrierechancen, Familienfreundlichkeit und genügend Freizeit nicht zu kurz kommen. So gaben im Rahmen des "Future Talents Report 2022" die meisten Jugendlichen an, dass Familienfreundlichkeit einen wesentlicher Aspekt der Berufswahlwahl darstellt.

Diese Forderungen an Arbeitgeber gestaltet die Suche nach geeignetem Personal noch schwieriger. Vor allem Branchen, die Lohnnebenleistungen wie Homeoffice, flexible Arbeitszeiten oder betriebliche Kinderbetreuung kaum oder gar nicht zur Verfügung stellen können, tun sich schwer, den Ansprüchen gerecht zu werden.

Weniger Ausgebildete, mehr Studierte

Die "Generation Z" geht nach der Schule am liebsten studieren. In Deutschland absolvieren nur noch 19 Prozent der Heranwachsenden eine Ausbildung. Vielen Jugendlichen wird von Eltern oder Lehrer:innen das Studium nahegelegt und die Ausbildung gilt als eher "unbeliebt". Der steigende Trend zur Akademisierung bedeutet gleichzeitig eine zunehmend rückläufige Ausbildungszahl. Das mündet in einem erhöhten Bedarf an Fachkräften mit Berufslehre z. B. in der Gastronomie, Logistik oder Industrie.

Digitalisierung 

Die stetig fortschreitende Digitalisierung in fast allen Wirtschaftsbereichen führt dazu, dass viele Berufe zunehmend an Bedeutung verlieren. Der Arbeitsmarkt verschiebt sich von Erwerbsmöglichkeiten mit niedrigschwelliger Qualifizierung z. B. in der Industrie zu immer höher spezialisierten und qualifizierten Berufsgruppen im MINT-Bereich, die z. B. für die Automatisierung der Produktionen zuständig sind. Eine hohe Nachfrage trifft auf einen vergleichsweise niedrigen Anteil an Absolvent:innen der MINT-Fächer. Der Frauenanteil in diesen Fächern steigt zwar moderat, ist allerdings nur ein Teilaspekt im Bewältigen des Fachkräftemangels. 

Fachkräftemangel oder Bewerber:innenmangel?

Kommt es zur Diskussion über den Fachkräftemangel, spielt immer auch der Bewerber:innenmangel eine Rolle. Beide Begriffe beschreiben zunächst ein Problem der Mitarbeiter:innengewinnung. Während der Fachkräftemangel jedoch einen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften beschreibt, bedeutet ein Bewerber:innenmangel, dass es potenziell genügend qualifizierte Fachkräfte auf dem Markt gibt, diese sich jedoch nicht bewerben. Einige Expert:innen sehen den Fachkräftemangel eher als Folge eines Bewerber:innenmangels aufgrund schlechter Arbeitsbedingung und schlechten Gehältern.

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Es ist wichtig, nicht nur die "Generation Z" und die Arbeitskräfte selbst in den Fokus zu rücken, sondern darüber hinaus auch die Unternehmen zu betrachten. "The Great Resignation" aus Amerika macht deutlich: Die Ansprüche der Arbeitnehmer:innen haben sich verändert und der Wandel weg vom Arbeitgebermarkt zum Arbeitnehmermarkt ist klar zu erkennen. Viele Menschen fragen sich: Erlebe ich im Job Abwechslung? Lerne ich noch etwas neues? Erlebe ich Sinnhaftigkeit in der Tätigkeit? Wird mir Wertschätzung entgegengebracht? Nein? Dann wächst die Bereitschaft zum Wechsel. 

Es ist nicht zu bezweifeln, dass es in einzelnen Branchen einen Mangel an Fachkräften z. B. aus den klassischen MINT-Berufen gibt und sich durch diesen Mangel Probleme ergeben. Jedoch kann Fachkräftemangel auch von vielen Mängeln der Unternehmenskultur ablenken und vernachlässigt häufig einen kritischen Blick auf die vorherrschenden Arbeitsbedingungen in einzelnen Branchen oder Unternehmen. Schließlich ist eine Berufung auf den Fachkräftemangel deutlich bequemer, als einzusehen, dass die eigene Rekrutierung der Fachkräfte problematisch verläuft oder die Unternehmenskultur den Anforderungen der Arbeitnehmer:innen nicht gerecht wird.

Was können wir gegen den Fachkräftemangel tun?

Aufgrund der vielen verschiedenen Gründe für den derzeitigen Mangel an Fachkräften ist es schwierig, eine brachenübergreifende Lösung zu finden. Dennoch gibt es bestimmte Lösungsansätze, die helfen können, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Gleichwertigkeit der beruflichen und akademischen Bildung 

Der gewählte Bildungsweg von Heranwachsenden ist natürlich eine persönliche Entscheidung. Für viele Branchen wäre es jedoch eine Erleichterung, wenn die berufliche Lehre wieder "in Mode" kommt. Den Industrie- und Handwerksverbänden beispielsweise ist es in den vergangenen Jahren nur bedingt gelungen, die jeweilige Ausbildung für junge Menschen attraktiv zu machen. Viele Kampagnen wirken zwar bemüht, gehen jedoch an den Wünschen der "Generation Z" vorbei. Positive Effekte, um die "Unbeliebtheit der Lehre" umzukehren, könnten unter anderem Schulen oder andere Bildungseinrichtungen haben, indem sie junge Menschen wieder motivieren, eine Ausbildung zu absolvieren.

Attraktive Unternehmenskultur & aktives Recruiting

Die Zeiten, in denen Unternehmen und Organisationen darauf warten konnten, bis die passenden Bewerbungen ins Postfach trudelten, sind vorbei. Das Recruiting eines jeden Arbeitgebers sollte daher optimiert werden, um neue Talente auf sich aufmerksam zu machen. Um Fachkräfte langfristig ans Unternehmen zu binden, sollten Arbeitgeber sich fragen, wie sie ihre Unternehmenskultur in der Zukunft gestalten und wie sie Menschen für sich begeistern können. Unternehmen, die auf die Bedürfnisse der "Generation Z" eingehen, können davon profitieren und dem Fachkräftemangel entgegenwirken.

"Man liest viel vom Fachkräftemangel. Es müsste mal darüber nachgedacht werden, kostenlose Parkplätze anzubieten, Firmenwagen, bessere Gehälter als der Durchschnitt, Verantwortungen zu übertragen, Perspektiven aufzuzeigen, etc."

Weiterempfehlungen auf Portalen durch die eigenen Mitarbeiter

Der Einfluss auf Entscheidungsprozesse durch Bewertungsportale wie kununu kann Studien zufolge die Arbeitgeberwahl eines Jobsuchenden beeinflussen. Ein positives und authentisches Employer Branding kann also helfen, neue Fachkräfte zu gewinnen.

Diversität & Vielfalt

Eine weitere Möglichkeit, den Fachkräftemangel etwas abzufedern, ist es, das volle Potenzial des Arbeitsmarktes zu nutzen und Arbeitskräfte zu erschließen, die bisher noch nicht ausreichend eingebunden sind. Die Einbindung älterer Arbeitnehmer:innen, Inklusion am Arbeitsplatz oder Wiedereinstiegsmöglichkeiten für Eltern öffnen die Unternehmensstrukturen für viele geeignete Arbeitskräfte, die tendenziell in eher traditionelleren Unternehmen vernachlässigt werden.

letztes Update: 23. August 2022