"Der innere Schweinehund ist nicht dein Feind": Stefan Frädrich im Interview

Eigentlich wolltest du heute nach getaner Arbeit das Wintertief austricksen und voller Elan das Großprojekt „Bikini-Figur“ angehen. Blöderweise hast du – trotz Jogginghose – wieder aus Versehen deine Sporteinheit mit einem Netflix-Marathon verwechselt. Dass du die Couch jetzt unmöglich verlassen kannst, liegt nicht nur an den Bergen von Chipskrümeln. Dein innerer Schweinehund will heute nicht vor die Tür, aber warum gibst du dich ihm geschlagen? Gründer der Weiterbildungsplattform GEDANKENtanken Dr. med. Stefan Frädrich, verrät uns, was der innere Schweinehund eigentlich ist – und was erfolgreiche Menschen mit ihm machen.

kununu: Wieso fällt es uns so schwer, aus unserer Komfortzone herauszukommen?

Dr. Stefan Frädrich: Die Komfortzone ist die Summe unserer neuronalen Prägungen, die wir über die Jahre unseres Lebens aufgebaut haben. Sie entspricht im Prinzip den Routinen unseres Alltags, die sich nur schwer verändern lassen – schließlich fallen sie uns leicht und sind ökonomisch für uns. Schwierig wird es dann, wenn uns neue Herausforderungen und Situationen begegnen. Die Routinen sagen uns: Mach es lieber so, wie du es immer schon gemacht hast. Das ist biologisch auch nachvollziehbar. Stell dir vor, du hast jahrelang mit der rechten Hand geschrieben und plötzlich soll sich dein Gehirn an die linke Hand gewöhnen. Am Anfang sagt alles in einem: Das geht nicht. Wenn sich Menschen aber auf diese Veränderungen einlassen müssen, weil sie beispielsweise eine Verletzung oder einen Schlaganfall erlitten haben und plötzlich gezwungen sind, die andere Hand zu benutzen, dann funktioniert es irgendwie. Das heißt, Komfortzonen sind erstmal etwas Positives, weil sie das Leben ökonomisch gestalten. Wir nehmen sie erst als etwas Negatives wahr, wenn sie nicht mehr zur tatsächlichen Realität passen und wir uns umgewöhnen müssen.

Was passiert in uns, wenn wir mal wieder vor dieser neuen Situation stehen?

Ein Fehlersignal im Kopf meldet uns: Bleib beim Alten, bloß keine Experimente. Unsere innere Stimme wehrt sich gegen die veränderte Situation - Die nennen wir dann den inneren Schweinehund, den es zu überwinden gilt. Häufig kommen dabei drei Urängste zum Vorschein. Erstens: Die Angst vor Misserfolg. Was wenn es nicht klappt? Angst Nummer Zwei: Überanstrengung. Das wird viel zu kompliziert und aufwändig, das schaffe ich sowieso nicht und bleibe lieber bei der bequemeren Variante. Und schließlich Urangst Nummer Drei: Die Angst vor sozialer Zurückweisung. Bevor man etwas tut, was anderen Menschen missfällt, bleibt man im Sinne des sozialen Kuscheldrucks lieber in der Norm. Deswegen trauen sich Menschen auch nicht mehr, neue Entscheidungen zu verkünden oder einfach mal aus der Masse auszuscheren und zu sagen: Ich sehe das anders.

Wie kann ich meinen inneren Schweinehund zum Freund machen?

Zunächst einmal, indem du dir klar machst: Der innere Schweinehund ist nicht dein Feind. Letztendlich ist er die Übersetzung der Summe unserer ganzen Routinen in ein inneres Selbstgespräch, das wir sowieso im Kopf haben. Die Frage ist hier: Ist es konstruktiv und bringt es mich weiter, oder eben nicht. Der innere Schweinehund ist also ein Teil von uns selbst, deswegen wird es auch schiefgehen langfristig gegen ihn anzukämpfen – nämlich immer dann, wenn ich mit meinem Verhalten meinen eignen inneren Einstellungen widerspreche. Beispielsweise nehme ich mir vor, 10 Kilo mit einer Gemüse-Diät abzunehmen, obwohl ich kein Gemüse mag. Oder ich will unbedingt sofort Karriere machen, obwohl ich meinen aktuellen Arbeitgeber überhaupt nicht leiden kann. Dieses Verhalten wird sich in einer dauerhaften negativen Stimmung und ständigem Bauchzwicken äußern. Unaufhörlich müssen wir dann eine emotionale Energie aufbringen, um unseren normalen Alltag zu bewältigen.

Was machen erfolgreiche und glückliche Menschen anders?

Sie brechen aus diesem Muster aus. Glückliche und erfolgreiche Menschen achten genau auf ihren inneren Kompass. Sie fragen sich ständig: Welches konkrete Verhalten behindert mich und was muss ich dafür meinem inneren Schweinehund in meinem Gehirn beibringen? Und wann sollte ich einfach auf meine innere Stimme hören und mir eingestehen: Das passt nicht zu mir? Diese Menschen nehmen das Leben wie es ist. Kontinuierlich bauen sie neue Erfahrungen in ihr Weltbild, sind bereit neue Dinge zu lernen. Weniger erfolgreiche Menschen hingegen halten an ihrer starren Vorlage fest, bei der eine Abweichung sofort Unsicherheit und Angst bedeutet. Demzufolge verteidigen sie zwar ihre innere Komfortzone, können aber auch nicht über sich hinauswachsen. Das führt über kurz oder lang in Sackgassen, Konflikte oder Probleme hinein. Im Gegensatz dazu haben erfolgreiche Menschen sozusagen eine ständige automatische Persönlichkeitsaktualisierung.

Motivationstipps gibt’s wie Sand am Meer. Auf welche kann man getrost verzichten?

Ich persönlich mag all die nicht, die anhand plumper Tipps vermitteln wollen: Du kannst alles schaffen. Denn das lässt sich nicht so einfach verallgemeinert behaupten. Menschen sind zu unterschiedlich. Sie variieren in ihren persönlichen Interessen, Fähigkeiten, Persönlichkeiten, sogar in der Biologie und stehen natürlich niemals am exakt selben Ausgangspunkt. Wir Menschen sollten uns vielmehr selbst erlauben, zu lernen, ein eigenes Individuum zu sein, für das es keine Erfolgsformel gibt. Die eigentliche Aufgabe ist also nicht, eine Liste von fünf Motivationstipps abzuarbeiten. Eigentlich sollten wir uns selber genau kennenlernen und uns für uns selber ein optimales Leben zusammenbasteln.

Welcher Tipp hat dir bei deiner Karriere am meisten geholfen?

Für mich gibt es nicht diesen einen Tipp, sondern in meinen Augen zählt vielmehr die innere Haltung des „ständigen Dazulernens“. Beispielsweise habe ich unzählige Bücher gelesen, Seminare besucht und weiterbildende Filme geschaut. Eben solche Inhalte ausgewählt, mit denen sich auch unsere Inhalte auf GEDANKENtanken beschäftigen. Im Grunde ist das Ziel, eine erfolgreiche Karriere zu schaffen oder ein glückliches Leben zu haben, eher eine Art Lebensreise und keine Sache, die sich mit ein, zwei Tipps erreichen lässt. Die Frage sollte auch nie lauten: Was muss ich kurzzeitig verändern um erfolgreich zu sein? Es geht im Leben eigentlich darum, was für ein Mensch ich sein muss, um ein Verhalten langfristig aufrechtzuerhalten. Was für ein Mensch muss ich beispielsweise werden, um schlank zu sein? Um beruflich erfolgreich oder intelligenter zu werden? Ich muss ein Mensch werden, der sich gesund ernährt, regelmäßig Sport macht und auch mal „Nein“ zu Kuchen sagen kann. Ein Mensch, der gerne Fortbildungen besucht, sich auch in seiner Freizeit weiterbildet und auf seine innere Stimme hört.

Was würdest du heute anders machen, wenn du wieder am Anfang deiner Karriere wärst?

Steve Jobs hat gesagt: Man muss das Leben vorwärts leben, kann es aber rückwärts verstehen. Deswegen lässt sich auf diese hypothetische Frage auch nur hypothetisch antworten – was passiert ist, ist schließlich passiert und lässt sich im Nachhinein nicht ändern. Die erste Sichtweise: Mit meinem damaligen Wissensstand, hätte ich wahrscheinlich keine anderen Entscheidungen getroffen. Würde ich mit dem heutigen Wissen vielleicht noch mal 20 oder 30 Jahre zurück gehen können, hätte ich sicherlich einige berufliche Sackgassen oder unglückliche Beziehungen vermieden, doch wer weiß das schon? Letztendlich sollte man sich immer in die unsichere Welt begeben und egal wie man seine Entscheidungen trifft, es wird hinterher schon irgendwie einen Sinn ergeben. Sonst wäre ich schließlich auch da, wo ich jetzt bin. Der Kern für mich ist eher der: Je früher man sich mit Persönlichkeitsentwicklung und Motivation sowie angewanter Psychologie beschäftigt desto besser. Denn dann trifft man viel eher inteligente und reflektierte Entscheidungen.


Dr. med. Stefan Frädrich ist neben Motivationscoach, Trainer und Bestseller-Autor auch Gründer der Weiterbildungsplattform GEDANKENtanken, die mit Events, Seminaren und Online-Kursen das Ziel verfolgt, Menschen und Unternehmen glücklicher und erfolgreicher zu machen. Der studierte Mediziner war nach seinem Studium als Arzt in einer Psychiatrie tätig, ehe er sich unteranderem in den Bereichen kognitive Verhaltenstherapie, Hypnose, NLP, Coaching, Rhetorik und Moderation fortbildete.