Was hilft, wenn die Arbeit Angst macht?
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Dir ist schlecht. Nachts hast du Panik wegen deiner Arbeit. Morgens liegt dir der letzte Schluck Kaffee wie Stein in deinem Bauch und du würdest alles geben, um einfach umdrehen zu können. Nur damit du nicht an den Ort musst, der dir solche Angst macht: dein Arbeitsplatz. Und damit bist du nicht allein. Psychische Erkrankungen zählen zu den häufigsten Gründen für eine Krankschreibung. Psychotherapeutin Andrea Pabst erklärt, wie sich Angstphobien am Arbeitsplatz äußern und was man dagegen tun kann.
Definition: Was bedeutet Arbeitsphobie
kununu: Was versteht man unter Arbeitsphobie und wie wirkt sie sich aus?
Andrea Pabst: Eine Phobie ist dann eine Angststörung, wenn die Ängste regelmäßig ohne reale Bedrohung auftreten und wenn sie das Leben der Betroffenen beherrschen und sie einschränken. Die Arbeitsplatzphobie kann eine Angst vor dem Arbeitsplatz als Ort sein, sowie vor Personen oder Situationen, die mit dem Arbeitsplatz in Verbindung stehen. So kommt es bei den Betroffenen häufig zu einer Arbeitsunfähigkeit und zu einem Vermeidungsverhalten mit der angstauslösenden Situation. Die Angst zur Arbeit zu gehen, kann auch in eine Depression führen.
kununu: Wie häufig tritt die "Angst vorm Arbeiten" auf?
Pabst: In unserer Gesellschaft sehr häufig! Beispielsweise in Form von Leistungsangst, Versagensangst, sozialen Ängsten, generalisierten Angststörungen oder auch Mobbing durch Kolleg:innen oder Vorgesetzte. Von einer Phobie spricht man, wenn Ängste durch bestimmte, aber ungefährliche Auslöser hervorgerufen werden und über einen längeren Zeitraum bestehen. Ich denke, dass die Mehrzahl der Personen, die eine Angstphobie entwickeln, aus Scham, Furcht oder strategischen Überlegungen nicht darüber reden.
"Von Angst und Druck geprägtes Arbeitsklima, Überstunden werden nicht vergütet, Seilschaften machen das Leben schwer."
kununu: In unserer Leistungsgesellschaft gilt man schnell als „Drückeberger:in“ oder als „nicht belastbar“, wenn man den Aufgaben nicht gewachsen ist. Wie ernst werden Arbeitsphobien mittlerweile genommen?
Pabst: Am Arbeitsplatz wird jede Person mit Herausforderungen und Erwartungen konfrontiert: Mit Kolleg:innen, die man sich nicht aussuchen kann. Mit Vorgesetzten, die sanktionieren und Leistung einfordern, um vorgegebene Ziele zu erreichen oder die Wünsche ungeduldiger Kund:innen zu erfüllen. Phobien beginnen meist mit Konflikten in der Firma, Streitereien unter den Mitarbeiter:innen. Wenn es dann keine Unterstützung und Rückhalt seitens der Vorgesetzten gibt, ist der Nährboden für Phobien gegeben.
kununu: Kann diese Phobie ein Zeichen von Burn-Out sein oder muss hier differenziert werden?
Pabst: Burn-Out ist anfangs schwierig zu erkennen und die Betroffenen gestehen sich das meist auch nicht ein. Symptome wie emotionale und seelische Erschöpfung, abnehmende Leistungsfähigkeit, wenig Motivation und Selbstzweifel können auftreten. Kommen dazu noch Unzufriedenheit, negative Einstellungen und Gedanken über die private und berufliche Situation - das alles kann ein Burn-Out Syndrom auslösen. Eine Phobie muss aber nicht unbedingt mit einem Burn-Out zusammenhängen. Eine umfangreiche Diagnostik kann helfen, zwischen Phobie und Burn-Out zu unterscheiden, um dann die richtige Therapie und Behandlung zu wählen.
Ursachen von Angst vor der Arbeit
kununu: Welche Ursachen können zur Angst vor der Arbeit führen?
Pabst: Dass Ängste in unserer Gesellschaft vermehrt auftreten, ist ein Zusammenspiel aus biologischen und sozialen Faktoren. Sie resultieren zum Teil aus Erziehungsstilen und individuellen Lernerfahrungen. Auch die seelische und körperliche Belastung sowie die Fähigkeit, Konflikte anzusprechen und aufzulösen, spielen hier eine wichtige Rolle. Auch eine andauernde Überforderung kann zu Angst vor der Arbeit führen.
kununu: Gibt es Berufsgruppen oder Positionen in Unternehmen, bei denen die Angst vor der Arbeit vermehrt auftritt?
Pabst: Ich würde unterscheiden zwischen der Persönlichkeit und dem Beruf selbst. Ein erhöhtes Risiko, an einer Phobie oder einer Depression zu erkranken, haben besonders sensible und ängstliche Menschen. Im Beruf sind es Tätigkeiten, die eine hohe Anforderung mit sich bringen und einer großen Verantwortung unterliegen. Daneben gibt es Berufe, wie beispielsweise Bühnenkünstler:in oder auch Lehrer:in. Sie stehen ständig vor einem Publikum oder unter genauer Beobachtung, dies kann ebenfalls Erfolgsdruck erzeugen.
Angst vor der Arbeit: Nachwirkungen der Corona-Pandemie
kununu: Die Corona-Pandemie hat vielfältige psychische Auswirkungen auf Arbeitnehmer:innen gehabt. Haben die Einschränkungen während dieser Zeit das Risiko vergrößert, an einer Arbeitsphobie zu erkranken?
Pabst: Studien zeigen, dass die Einschränkungen während der Pandemie – wie Homeoffice, soziale Isolation, wirtschaftliche Unsicherheiten und veränderte Arbeitsstrukturen – das Risiko für psychische Erkrankungen erhöht haben. Arbeitsphobien können durch die Pandemie ausgelöst oder verstärkt worden sein. Arbeitsplatzverluste oder die Angst vor Kündigungen haben das generelle Stressniveau bei vielen Arbeitnehmer:innen erhöht. Viele Menschen haben sich im Homeoffice überfordert gefühlt. Auch die Entgrenzung von Berufs- und Privatleben kann zu Burnout-ähnlichen Zuständen führen, die in Phobien münden können. Die fehlende soziale Interaktion während der Lockdowns hat bestehende Ängste verstärkt, etwa vor sozialen oder beruflichen Anforderungen.
Zusätzlich hat der Arbeitsplatz an sich in Pandemie-Zeiten natürlich auch eine Gefahr dargestellt – Menschen hatten schlicht Angst, sich dort zu infizieren. Für Menschen, die bereits eine bestehende Phobie vor ihrem Arbeitsplatz hatten, konnte das fatale Auswirkungen haben. Der Unterschied liegt darin, dass die Arbeitsphobie auf den Arbeitsplatz bzw. das Arbeitsumfeld beschränkt ist, die Angst vor dem Corona-Virus war etwas Kollektives, das alle Menschen im gleichen Ausmaß zur selben Zeit betroffen hat. Da spielte das soziale Umfeld eine große Rolle, zum Beispiel, wie Freundeskreis, Familie oder der:die Partner:in mit der Situation umgegangen sind - das Umfeld hat einen großen Einfluss auf Personen, die unter Ängsten leiden.
kununu: Die Corona-Pandemie ist überstanden - dennoch arbeiten viel mehr Menschen als zuvor vermehrt von zuhause. Denken Sie, dass das eher positive oder negative Folgen für Menschen hat, die an einer Arbeitsphobie leiden?
Pabst: Es gibt Menschen, die sich trotz ihrer Ängste gut organisieren und disziplinieren können und das Homeoffice als eine Entlastung sehen. Um herauszufinden, welche Auswirkung die Arbeitsphobie auf den Menschen hat, ist ein genaues Anamnesegespräch bei einem:r Therapeut:in zu empfehlen.
Für Menschen, die nicht gerne zur Arbeit gehen, aufgrund unterschiedlicher Ursachen, wird das „von zuhause arbeiten“ eher als Vorteil angesehen, um Konflikten oder unangenehmen Situationen aus dem Weg zu gehen. Auf der anderen Seite wird dadurch das Vermeidungsverhalten gefördert, die Ängste werden somit aufrecht erhalten und eine potentielle Lösung wird hinausgeschoben. Negative Auswirkungen kann das Arbeiten in den eigenen vier Wänden vor allem für diejenigen haben, die zusätzlich unter Einsamkeit oder Isolation leiden, wenig soziale Kontakte haben und sich mit ihren Ängsten allein gelassen fühlen.
"Fühle mich allein gelassen."
Hilfe für sich selbst und andere
kununu: Was kann ich als Betroffene:r zunächst selber tun und ab wann sollte ich mir professionelle Hilfe suchen?
Pabst: Angst vor der Arbeit, oder auch Angststörungen überhaupt, sind gut behandelbar, auch wenn man die genauen Ursachen nicht immer findet. Die Verhaltenstherapie kann hier gute Ergebnisse erzielen. Der:die Klient:in lernt die bewusste Auseinandersetzung mit speziellen Situationen, vor denen er:sie sich fürchtet. So stärkt man die Fähigkeit, sich mit der Angst zu konfrontieren und sie zu besiegen. Wenn Angststörung und Symptome über einen längeren Zeitraum auftreten, kann eine professionelle Beratung und Therapie sehr hilfreich und entlastend sein.
kununu: Woran erkenne ich, dass mein:e Kolleg:in Hilfe braucht und was kann ich tun?
Pabst: Bei Menschen, die eine Phobie entwickeln, können verschiedene Symptome auftreten. Sie erröten, haben zitternde Hände, ihnen wird übel oder schwindelig. Sie beginnen, bestimmte Situationen oder Menschen zu vermeiden, fehlen plötzlich häufiger am Arbeitsplatz. Dabei spielt auch ein niedriges Selbstwertgefühl und die Furcht vor Kritik eine ebenso wesentliche Rolle. Betroffene kann man dabei unterstützen und ermutigen, sich sehr bald konkrete psychotherapeutische Beratung zu suchen!
Andrea Pabst
Andrea Pabst ist Psychotherapeutin in Wien und Baden. Sie hilft bei Depressionen, Beziehungsproblemen und in Krisensituationen wie Trennung, Angst- und Panikzuständen. Weiteres verfügt sie über Expertise auf dem Gebiet der Familien- und Paartherapie.
9. Januar 2025