Na, versinkst du auch in Verantwortung?

Der Puls auf 210, Schweißperlen auf der Stirn und hysterische Muskelzuckungen – irgendwie stehst du ganz schön unter Strom. Mit vier Espressi intus jonglierst du laufende Projekte, Deadlines und Ressourcen. Denn wenn der Chef dir noch mehr Aufgaben zuteilt, kreischst du reflexartig: „Ja, immer her damit.“ Ablehnen kannst du nicht. Das würde ja bedeuten, dass du nicht belastbar bist und keine Führungsqualitäten hast. Oder? Experte Christian Richter von Karriereservice.de und select if Personalberatung verrät uns seine Tipps und Tricks!

Warum ist es für Menschen so schwer, Verantwortung abzugeben?

Es ist gar nicht untypisch, dass Menschen ungern Verantwortung abgeben. Hierfür gibt es ganz unterschiedliche Gründe. Zum einen ist zu beobachten, dass eine Abgabe von Verantwortung immer auch mit der Angst verbunden ist, vielleicht die Kontrolle zu verlieren. Menschen, die sehr gewissenhaft sind, fällt dies häufig besonders schwer. Teilweise glauben sie einfach nicht, dass andere Mitarbeiter die Aufgabe gleich gut umsetzen können oder fürchten einen Autoritätsverlust, wenn diese die Aufgabe evtl. besser lösen. Häufig wird auch der Aufwand gescheut, die Aufgabe anderen vernünftig zu erklären und die Arbeitsergebnisse nachzuverfolgen.

Ein weiterer Grund ist, dass die Delegation von Aufgaben als Schwäche angesehen wird, also somit als indirektes Outing, dass man mit den eigenen Aufgaben überfordert und nicht mehr "Herr der Lage" ist. Grundvoraussetzung für das Delegieren von Aufgaben ist auch immer das Vertrauen in den Mitarbeiter oder Kollegen, dass diese die Aufgaben gleichwertig erledigen. Es bedarf zudem aber auch das Selbstvertrauen in die eigene Fähigkeit, gut zu führen und professionell zu delegieren. Auch dieses ist häufig nicht genügend ausgeprägt. Auch die Angst, selbst als überflüssig zu gelten, wenn man an wichtigen Projekten oder Aufgaben nicht selbst mitarbeitet, kann dazu führen, dass Verantwortung nicht abgegeben wird. Letztendlich will man vielleicht auch spannende Aufgaben einfach nicht abgeben, weil es Spaß macht, diese selbst auszuführen.

Was an meinem Verhalten verrät mir, dass ich eigentlich überfordert bin und es Zeit für die Notbremse ist?

Wenn du regelmäßig Überstunden leistest, jeden Abend merkst, dass deine Checklisten noch nicht abgearbeitet sind und du häufiger Dinge vergisst, ist es Zeit, das eigene Verhalten zu reflektieren. Auch andere Warnsignale wie sich ständig gestresst und gehetzt zu fühlen oder auch körperliche Reaktionen solltest du unbedingt ernst nehmen. Da jeder Mensch seine Arbeitsbelastung unterschiedlich empfindet, ist es schwierig generell festzulegen, bei welchem Stresslevel die Überanstrengung beginnt.

Eine regelmäßige Selbstreflektion hilft dabei, ehrlich zu beantworten, ob du noch in einem gesunden Maß gefordert bist oder schon eine Überforderung besteht. Nimm in jedem Fall auch Rückmeldungen und Feedback aus dem Umfeld ernst. Wenn deine Familie oder Freunde dich z. B. darauf aufmerksam machen, dass du in letzter Zeit häufig übermüdet wirkst, ist dies ein wichtiger Warnhinweis.

Wie kann ich die Situation erstmal selber in den Griff bekommen ohne direkt Projekte abzugeben?

Eine ernsthafte und ehrliche Bestandsaufnahme hilft dir, die Situation richtig einzuschätzen. Für welche Projekte trägst du die Verantwortung? Welche Aufgaben musst du in kurzer Zeit bewältigen? Verschaffe dir einen umfassenden Überblick über alle anstehenden Themen. Dieser hilft dir einzuschätzen, welche zeitlichen Ressourcen du für die Bewältigung der Aufgaben wirklich benötigst. Sei bei deiner Einschätzung nicht zu optimistisch, sondern schätze das Arbeitspensum so realistisch wie möglich ein. Besteht die Möglichkeit, Prioritäten zu setzen oder Aufgaben zeitlich nach hinten zu verschieben?

Solltest du der Arbeitsbelastung wirklich nicht gerecht werden, suche dir Unterstützung. Ziehe deinen Vorgesetzen mit ein, wenn du nachweisen kannst, dass das Arbeitsaufkommen in der derzeitigen Situation zu hoch ist. Er wird mit Sicherheit seine Unterstützung anbieten, wenn du ihm die Situation genau schilderst. Optimalerweise präsentierst du hierbei auch schon eigene Lösungsvorschläge und benennst Kollegen, die dich eventuell unterstützen können. Damit zeigst du, dass du dich mit der Situation vernünftig auseinandergesetzt hast.

Welche Formulierungen sollte ich dabei vermeiden – welche auf jeden Fall verwenden?

Den Vorgesetzten solltest du als Partner und Berater ansehen und das Gespräch mit ihm auch dementsprechend führen. Stelle dabei konkrete Fragen: Wie würden Sie an meiner Stelle die Prioritäten setzen? Halten Sie auch Kollegen X für fähig, mich zu unterstützen?

Welche Tricks gibt es, um Verantwortung abzugeben, ohne hilflos und verzweifelt zu wirken?

Bedenke, dass viele Aufgaben, die du selber nicht umsetzen kannst, für den einen oder anderen Kollegen als wirkliche Chance und auch interessante Herausforderung dienen können. Wenn du Delegation auch als Instrument der Mitarbeiterförderung verstehst, fällt es leichter, Aufgaben abzugeben. Mancher Kollege wird sich über eine Chance freuen!

Wie sollte ich mich verhalten, damit ich früher oder später nicht wieder zu viele Aufgaben übernehme?

Wäge ab, welche Aufgaben du wirklich übernehmen willst und schätze das hierfür notwendige Arbeitsvolumen realistisch ein. Zudem solltest du mindestens einmal wöchentlich das benötigte Zeitvolumen für alle anstehenden Aufgaben kalkulieren. Plane zusätzlich Pufferzeiten ein und überprüfe, ob dir genügend zeitliche Ressourcen für alle Aufgaben zur Verfügung stehen.

Analysiere regelmäßig, welche Aufgaben von anderen Teammitgliedern gut übernommen werden können. Vielleicht triffst du eine Vereinbarung mit Kollegen, dass ihr euch in auftragsstarken Zeiten gegenseitig unterstützt. So kann eine Win-Win-Situation für das Team gelingen.

christian richter

Christian Richter

Christian Richter ist Geschäftsführer der Unternehmen Karriereservice.de und select if Personalberatung. Mit seiner langjährigen Erfahrung unterstützt er mittelständische Unternehmen bei Recruiting und Personalauswahl und begleitet als Coach Fach- und Führungskräfte auf ihrem Karriereweg. Darüber hinaus ist er als Lehrbeauftragter an verschiedenen Hochschulen tätig und hält Vorlesungen über Personalmanagement und Methodenlehre.