Kontinuität statt Krise: In Zeiten von Corona die Weichen für die Zukunft stellen

Eine Frage, die sich aktuell viele stellen: Was sollten Unternehmen, Führungskräfte und Mitarbeiter jetzt und in den nächsten Monaten tun, um möglichst wenig Schaden an Person und Unternehmen zu nehmen? Wie man bereits in der Krise in eine möglichst gute Ausgangsposition für die Zukunft gelangt und wie diese Zukunft überhaupt aussehen könnte, beschreibt XING Insider und Führungs- und Organisationsexperte Guido Bosbach in diesem Gastbeitrag.

Eine neue Distanz

Das Coronavirus hält uns nachhaltig im Griff. Es besitzt mehr Einfluss auf die Gesundheit der Menschen, der Unternehmen und der Wirtschaft, als uns allen lieb ist. Wir stehen vor der größten Rezession der Nachkriegszeit mit weitreichenden Folgen. Das Virus hat Auswirkungen auf Freizügigkeit, auf Entscheidungen, auf Prozesse, auf das Arbeitsleben ganz allgemein.

Das Virus hat uns eine neue Distanz aufgezwungen. Wir sind gehalten analog auf Abstand zu bleiben. Unser Umgang miteinander und unser Verständnis für uns selbst haben sich verändert. Das Virus reduziert soziale Kontakte. Es hat Home und Office miteinander verschmolzen, Kurzarbeit und Angst vor dem Arbeitsplatzverlust gebracht.

Uns fehlen die Kaffeeküchengespräche und Zeit für uns selbst auf dem Weg zur Arbeit. Uns fehlt die Gelegenheit zuhause über die Arbeit und bei der Arbeit über Zuhause zu sprechen, Dinge zu reflektieren, neue Perspektiven einzuholen. Uns fehlt der Fokus, der Rückzugsraum, uns fehlt Austausch, Dialog über all die Kleinigkeiten. Uns fehlt die Distanz zwischen Home und Office und wir haben zugleich zu viel Distanz zu den Kollegen, Chefs und Mitarbeitern.

Führung AUF Distanz ist nicht gleich Führung MIT Distanz

Die Art und Basis von Führung und Zusammenarbeit hat sich in kürzester Zeit signifikant verändert. Das Virus hat uns vor eine Herausforderung gestellt, deren ersten Teil wir oft bereits gemeistert haben. Die „CoWork-20-Challenge“ ist damit weder wirklich „accepted“, noch „accomplished“. Je länger die Krise anhält, desto wichtiger wird es, aus ihr heraus die Grundlage für die Zukunft zu gestalten. Es wird noch Monate dauern, bis wieder Normalität ins Arbeitsleben gelangt.

Wir müssen heute schon beginnen Szenarien zu entwickeln, um mit der verbleibenden Dauerbedrohung und -belastung durch das Virus umzugehen und Wege finden sie einzugrenzen oder mit ihnen zu leben. Um uns darauf vorzubereiten, können wir mit einer einfachen Frage starten: Was hat in der Krise schlechter oder besser funktioniert als zuvor? Welche Arbeits-, Führungs- und Verhaltensweisen sollten wir beibehalten und welche nicht?

Zwangslage oder Chance?

Unvorhergesehene und dynamische Veränderungen wie wir sie aktuell erleben fordern einige Fähigkeiten und Kompetenzen ganz besonders. Plötzlich ist das Maß an gegenseitigem Vertrauen, Flexibilität sowie Klarheit, Offenheit und Transparenz in der Kommunikation besonders stark gestiegen. Wir müssen auf dem schmalen Grat zwischen Sicherheit, Stabilität und Gewohnheit auf der einen Seite und der Bereitschaft ungewohntes und unbequemes, gemeinsam auszuprobieren auf der anderen Seite, balancieren. Das Verlassen der Komfortzone ist nicht mehr Option, sondern Notwendigkeit. Das Verlassen der Komfortzone ist nicht mehr Option, sondern Notwendigkeit.

(Gute) Führung ist jetzt anders

In der Krise werden Aufgaben und Entscheidungen leichter, schneller und konsequenter delegiert. Bürokratische Prozesse werden vereinfacht, Vertrauen ersetzt (vorerst) die Kontrolle, Homeoffice die Präsenzpflicht, crossfunktionale Interaktion bricht die Silos auf. Selbstorganisation kompensiert den fehlenden Einfluss der Hierarchie, Selbstverantwortung und breiter gefasste Kommunikation muss die kaum mögliche enge Führung ausgleichen. Aktive Beteiligung und das Einbringen konstruktiver Ideen wird als zielführender erkannt, als das Abarbeiten von Vorgaben.

Kurz: Autonomie ersetzt Abhängigkeiten und Flexibilität. Agilität und Anpassungsfähigkeit, zählen mehr als der beste Plan. Die Aufgabe wird sein, davon möglichst viel in die Zeit nach der Krise herüberzuretten, statt alles unreflektiert auf den Zustand vor der Krise zurückzudrehen.

Jetzt gemeinsam langlebige Unternehmen gestalten

Diese Lernaufgabe erfordert jetzt gemeinsam angegangen zu werden, um die Grundlage für zukünftig stabilere, sicherere, langlebigere Unternehmen zu gestalten. Studien zeigen, dass sich solche Organisationen durch eine Auswahl aus sechs Eigenschaften auszeichnen:

  • Sie etablieren bewusst Redundanzen.
  • Sie schaffen modulare Strukturen, die sich ergänzen und ersetzen können.
  • Sie agieren vorausschauend und durchdenken neu entwickelnde Szenarien ganz bewusst.
  • Sie schaffen Netzwerke.
  • Sie binden Geschäftspartner aktiv ein.
  • Sie setzten auf Diversität in Bezug auf Produkte, Angebote, Partner und Mitarbeiter.

Unternehmen denen es gelingt mindestens drei dieser sechs Eigenschaften tief in ihr „Betriebssystem" aufzunehmen, überstehen Krisen deutlich erfolgreicher.

Impuls, Reflexionsfragen & Tipps

Um sich so aufzustellen, braucht man ein klares Bewusstsein bezüglich der Zielsetzungen, der Fähigkeiten, Kompetenzen, es braucht ein offenes, bewusstes Menschenbild, weit gefasste, aber klare und nachvollziehbare Regeln, Routinen und Rahmenbedingungen, sowie eine belastbare Kommunikation mit der Möglichkeit, in den Dialog, auch zu kritischen Themen, zu gehen.

Um euch den Weg zu erleichtern, ein paar Tipps und Fragestellungen, die helfen sollen die richtigen Weichen zu setzen:

  • Wie klar sind euch die Zielsetzungen eures Unternehmens? Klärt ganz explizit die kurzfristige Zielsetzung bis zum Ende der Krise, die mittelfristige nach der Krise und die langfristige über diesen Zeithorizont hinaus.
  • Formuliert handlungsleitende gemeinsame Unternehmensziele, s.d. jeder, auch ohne unmittelbaren Kontakt zu Kollegen, Entscheidungen im Sinne des Unternehmens treffen kann.
  • Überprüft, inwieweit eure Fähigkeiten und die Verfügbarkeit von zu diesen Zielen passt. Klärt aktiv, welche Fähigkeiten kurzfristig hinzugewonnen oder Ressourcen beschafft werden sollten.
  • Betrachtet eure Regeln und Routinen. Helfen sie in der Krise oder behindern sie? Sammelt schon jetzt, welche Regeln und Routinen nach der Krise bestand haben sollten und welche nicht.
  • Beobachtet, welchen äußeren und inneren Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit sich durch die Krise verändert haben. Wo und wie wird jetzt anders zusammengearbeitet und mit welchen Auswirkungen?
  • Sprecht miteinander über die Art wie ihr miteinander kommuniziert. Findet heraus, wer welchen Kommunikationsweg, welche Uhrzeit, welchen Kontext, welche Vorbereitung bevorzugt und was davon für alle Beteiligten sinnvoll umsetzbar ist. Wieviel Transparenz ist nötig, wieviel wird als ausreichend empfunden?

Diese Hinweise sind sicherlich nicht mehr als ein erster Schritt auf eurem Weg in die hoffentlich erfolgreiche Zeit nach der Krise.

Fazit: Kontinuität statt Krise

Die aktuelle Situation hat alle Unternehmen Hals über Kopf in einen ungeplanten Entwicklungsprozess gestürzt, der seine Zeit braucht. Aber gerade mit Blick auf die Krise ist jeder Tag des Abwartens ein Tag, an dem ihr später am (Neu-)Start steht. Es lohnt sich daher jetzt den Kopf nicht hängen zu lassen, einen Schritt zurückzutreten und über dem aktuellen Bild die Perspektive zu erkennen. Denn genauso lohnt es sich zu bedenken, dass in jeder Krise immer auch ein Neubeginn steckt.