"Gleichberechtigung ist kein jährliches Folklore-Thema" – Nana Siebert, DER STANDARD im Interview

In unserer Interviewserie „The future is…?“ gehen wir der Frage nach, wie Female Leaders die Arbeitswelt verändern und die Zukunft gestalten. Warum wir nicht nur am Weltfrauentag über Gleichberechtigung sprechen sollten und welche Rolle Medien in diesem Kontext einnehmen, erklärt Nana Siebert, stellvertretende Chefredakteurin DER STANDARD. Außerdem gibt sie wertvolle Tipps für Jungjournalistinnen und ruft alle Frauen auf stärker zusammenzuhalten.

kununu: Als Frau in der Medienbranche: Wie schätzt du die Rolle von Medien bzw. mediale Repräsentation für Gleichberechtigung ein?

Nana Siebert: Wie und über wen Medien berichten, prägt das Weltbild der Rezipienten. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass Medien mehr Diversität in ihre Berichterstattung bringen. Das heißt einerseits, ganz bewusst darauf achten, dass nicht nur männliche Experten, sondern auch Expertinnen für die Recherche angerufen werden – uns also nicht vorrangig Männer die Welt erklären. Oder wir bei der Auswahl der Bilder darauf achten, keine Geschlechter-Stereotypen zu bedienen, die Frau nicht als sexy Sekretärin und den Mann als mächtigen Anzugträger illustrieren. Andererseits wollen wir über spannende Frauen, weibliche Role Models oder Themen wie den Gender Pay Gap nicht nur anlässlich des Weltfrauentages berichten. Gerade die kontinuierliche Thematisierung halte ich für wichtig. Gleichberechtigung ist einfach kein Folklore-Thema, das nur einmal im Jahr aufgegriffen werden sollte. Einige finnische Medien haben bereits eine Quote in der Berichterstattung eingeführt. Und auch beim STANDARD achten wir verstärkt darauf, dass es mehr Parität gibt.

Wenn es um Frauen und Karriere geht, wird medial immer wieder die Vereinbarkeit von Familie und Arbeit thematisiert. Dabei zeigen Studien, dass stereotype Repräsentation in den Medien sogar negativere Auswirkungen auf die Wahrnehmung der Rezipienten haben kann, als fehlende Repräsentation. Sollte anders über Frauen in der Arbeitswelt berichtet werden?

Es wäre zu einfach, zu sagen: Medien sollten die Frage nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht mehr aufgreifen und schon ist das Thema vom Tisch. So simpel funktioniert die Welt nicht. Die Frage „Möchte ich Kinder? Und wenn ja, was bedeutet diese Entscheidung für meine Karriere?“ spielt immer noch eine sehr gewichtige Rolle im Leben vieler Frauen. Für Männer natürlich auch, aber noch immer nicht in demselben Ausmaß ­– selbst wenn hier mittlerweile vieles im Umbruch ist. Es geht also für mich weniger um das „ob“, sondern viel mehr darum, „wie“ berichtet wird. Es wäre für mich der falsche Ansatz, Frauen nicht mehr danach zu fragen. Ein besserer ist es, auch mit Männern darüber zu sprechen.

Kommen wir zurück zur Medienbranche: Wir erinnern uns an den Fall einer BBC-Journalistin, die gekündigt hat, weil sie um ein Drittel weniger verdient hat, als ihre männlichen Kollegen. Auch eine ZDF-Reporterin hat vor kurzem eine Klage auf Lohngleichheit eingereicht. Wie lässt sich der Gender Pay Gap im Journalismus ­– einer Branche, die gesellschaftliche Vielfalt widerspiegeln sollte – erklären?

Nur weil Medien über Gleichberechtigung und den Gender Pay Gap berichten, sind sie nicht automatisch fairere oder bessere Arbeitgeber. Natürlich wäre es schön wenn die Maßstäbe, die viele Medien in der Berichterstattung ansetzen, auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gelten würden. Fakt ist nur eben: Fairness in Bezug auf Bezahlung und Aufstiegschancen hängt einzig vom jeweiligen Unternehmen und dessen Kultur ab, nicht von der Branche.

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Daten der Worlds of Journalism-Studie zeigen: Für die meisten Journalistinnen ist spätestens bei der Ressortleitung Schluss. Nur gut ein Drittel der Frauen nimmt eine Leitungs- oder Teilleitungsrolle ein. Gerade einmal 3,2 Prozent der Frauen schaffen es in eine Chefredaktion oder werden Herausgeberin. Bei den Männern haben knapp die Hälfte (44 Prozent) Leitungs- oder Teilleitungsfunktionen. Was müsste sich ändern, um mehr Frauen in Führungspositionen zu sehen?

Es braucht mehr Role Models. Denn sie zeigen, dass es möglich ist, als Frau Führungsverantwortung zu wollen und auch zu bekommen. Und dass eine Führungsrolle nichts ist, was man scheuen muss. Leadership ist bis zu einem gewissen Grad ein Handwerk, das man erlernen kann. Genau deshalb ist es mir wichtig, junge Kolleginnen gezielt zu fördern, ihnen zu vermitteln, dass man keine Angst haben muss, Verantwortung zu übernehmen und daran zu wachsen. Der Ball liegt auch bei den Frauen selbst, die nicht darauf warten sollten, gefragt zu werden – sondern sich selbst stärker ins Gespräch bringen müssen.

Journalismus ist beruflich ein hartes Pflaster. Freie Stellen sind selten und die wenigen, die es gibt, sind heiß begehrt. Welchen Tipp würdest du Jungjournalistinnen geben, die in der Branche Fuß fassen wollen?

Als ich damals im Journalismus angefangen habe, war vieles ganz anders. Ich war in einer Lehrredaktion und wurde direkt im Anschluss übernommen. Das funktioniert so heute nicht mehr. Die Medienbranche hat sich stark verändert, man macht als junge Redakteurin etliche Praktika, ehe es zu einer Festanstellung kommt. Mein Tipp: Bringt euch während des Praktikums durch neue Ideen ein, macht durch coole Geschichten und innovative Zugänge auf euch aufmerksam. Nutzt jede Gelegenheit zum Schreiben, egal auf welcher Plattform. Aber nutzt die Zeit nicht nur, um das Handwerk des Journalismus zu erlernen, sondern auch, um Kontakte zu knüpfen. Netzwerken ist ein immens wichtiger Bestandteil des Arbeitslebens und hilft gerade jungen Journalistinnen dabei, Fuß zu fassen. Und besonders wichtig: Zum richtigen Zeitpunkt das einzufordern, was man will. Geht aktiv auf Verantwortliche zu und kommuniziert klar, was ihr möchtet und wo ihr hinwollt. Ich habe selbst viel zu lange fleißig, aber still vor mich hingearbeitet und darauf gewartet, eine Beförderung oder eine Gehaltserhöhung zu bekommen. Bis ich gemerkt habe, dass es so leider nicht funktioniert oder nur sehr selten.

Und wie steht es um die Gleichberechtigung beim STANDARD: Auf unserer kununu Skala von 1 (sehr schlecht) bis 5 (sehr gut), wie würdest du die Kategorie bewerten?

Ich würde sagen: 5 von 5, weil hier sehr auf Gleichberechtigung und Diversität geachtet wird. In der Chefredaktion sind zwei Männer und zwei Frauen – und auch in der Redaktion oder dem Verlag arbeiten etwa so viele Männer wie Frauen; das gilt auch für die Führungspositionen. Diversität in Teams ist uns auch deshalb sehr wichtig, weil wir wissen, dass die Zusammenarbeit dadurch besser und erfolgreicher funktioniert. Um das auch aktiv zu fördern, haben wir intern ein Diversitätsprogramm initiiert. Dabei haben wir uns unter anderem mit der Frage beschäftigt haben, wie wir es schaffen, dass sich zurückhaltende Personen noch mehr in der Redaktion einbringen, mit ihren Ideen und Themen gehört werden. Aber auch welche Mechanismen es bislang verhindern. Für das Programm haben sich – nicht nur, aber Großteils – Frauen gemeldet. In dem Workshop wurden dann mit externen Coaches passende Strategien ausgearbeitet.

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Was machst du, um Gleichberechtigung zu fördern?

Gerade zu Beginn meiner Karriere lag mein Fokus auf mir selbst und meinen Zielen. Jetzt bin ich an einem Punkt meiner Karriere, an dem ich es wichtiger finde, andere Frauen zu fördern und ihnen den Aufstieg zu ermöglichen. Ich achte verstärkt darauf, welche Mechanismen dazu beitragen, dass Frauen sich kleingehalten fühlen oder verstecken ­– und was ich dazu beitragen kann, etwas daran zu ändern. Oder wie ich jungen Kolleginnen den Rückhalt und das Rüstzeug vermitteln kann, das sie darin bestärkt, sich durchzusetzen. Außerdem vernetze ich mich sehr gerne mit Frauen und diese dann wieder mit anderen Personen meines Netzwerks. Weil es eine der wichtigsten Lehren meiner Laufbahn war, wie unendlich wichtig der Kontakt zu anderen tollen und talentierten Frauen ist. Außerdem habe ich als Mentorin im letzten Jahr zwei junge Frauen bei ihrer Karriereplanung begleitet, auch das war ein unfassbar schönes Erlebnis.

Wie könnte insgesamt mehr Diversität in der Arbeitswelt geschaffen werden?

Wir können andere nicht verändern – wir können nur uns selbst ändern. Bedeutet: Alles tun, was im eigenen Wirkungsbereich liegt, um Diversität zu fördern. Genauso wie in der Berichterstattung, sollten wir bei Einstellungen und Beförderungen darauf achten.

Ein weiterer wichtiger Schritt wäre, schon in der Erziehung damit anzufangen keine klassischen Rollenbilder zu vermitteln. Von klein auf werden Mädchen in der Regel dafür belohnt, brav zu sein und Jungen dafür, mutig zu sein. Dieses erlernte Muster besteht dann auch im Berufsleben: Viele junge Frauen denken, wenn sie brav und fleißig sind, kommt irgendwann die Belohnung. Aber so funktioniert die Arbeitswelt nicht. Genau deshalb ist es so wichtig als Frau zu sagen: „Ich kann das, ich mach das und ich will das.“ Wenn immer mehr Frauen so denken und dann auch für andere einstehen, haben wir schon sehr viel erreicht.