Zukunftslobbyist: "Junge Arbeitnehmer müssen sich zusammentun"

Junge Menschen sind, so meint Wolfgang Gründinger, ziemlich angeschmiert: Nach intensiver Qualifizierung steigt die Generation Praktikum spät ins Berufsleben ein. Dort erwarten sie befristete Arbeitsverträge, niedrige Löhne und hohe Sozialabgaben. Genau dieses Dilemma hat der Zukunftslobbyist nun in seinem Buch "Alte Säcke Politik" thematisiert. Er beschreibt darin, wie "die Alten" Politik zu Lasten der jungen Generation machen – und was es braucht, damit die Jugend aus dieser Misere wieder herauskommt.

kununu: Herr Gründinger, Sie beschreiben sich selbst als "Zukunftslobbyist". Was genau kann man sich darunter vorstellen?

Dr. Wolfgang Gründinger: Nachrückende Generationen können sich nicht selbst vertreten, da sie noch ungeboren oder zu jung sind, um ihre Interessen in die Waagschale zu werfen. Deshalb braucht es Anwälte, die deren Interessen treuhänderisch vertreten. Das versuche ich als Zukunftslobbyist – und ich hoffe, dass es noch mehr davon gibt.

Sie haben ein Buch geschrieben, das den recht provokativen Titel "Alte-Säcke-Politik" trägt. Hand aufs Herz: Über welchen alten Sack haben Sie sich zuletzt geärgert?

Über Angela Merkel ärgere ich mich eigentlich jeden Tag. Viele Zukunftsprojekte müssen hinten anstehen, weil sie auf der politischen Agenda nicht die nötige Priorität haben. Deutschland wird fast die Hälfte der Nachhaltigkeitsziele verfehlen, einschließlich der Klimaziele. Und die einstige Klimakanzlerin dreht Däumchen.

Ihre These: Digitalisierung überfordere die "alten Säcke". Wären wir längst schon weiter, wenn „die Jungen“ mehr zu sagen hätten?

Wer jung ist, macht nicht zwangsläufig die bessere Politik. Aber ein paar mehr junge Stimmen würden der Debatte – gerade zu Themen wie Digitalisierung – ganz guttun.

Generationenkonflikte haben viele Gesichter. Was aber können Jung und Alt im Arbeitskontext voneinander lernen?

Die Alten haben Erfahrungswissen. Nehmen Sie einen Stahlkocher, der nur alle 30 Jahre erneuert wird. Da kann man noch so viel aufschreiben, am Ende ist es immer besser jemanden dabei zu haben, der das schon mal mitgemacht hat. Andersrum wollen viele Junge auch mal was anders machen, als es schon immer war, weil sie sich an eingeschliffene Strukturen noch nicht gewohnt haben. Und sie bringen natürlich viel mehr digitales Wissen mit und sind hervorragend ausgebildet, gerade in Fremdsprachen.

Welche weitere Beobachtung haben Sie in Bezug auf die gegenwärtige Arbeitswelt gemacht?

Die Führungskultur generell muss sich wandeln, weg von der Befehlskultur, hin zu hierarchiearmen Organisationsstrukturen, in denen sich Potenzial und Kreativität entfalten können. Ansonsten werden Unternehmen die besten Kräfte verlieren. Das wird oft gepredigt, aber selten gelebt.

Was bedeutet für Sie New Work?

In vielen Bereichen – wenngleich freilich nicht überall – ermöglicht die Digitalisierung, Ort und Zeit des Arbeitens souverän selbst zu bestimmen. Das kann eine neue Emanzipation in der Arbeitswelt begründen. Das setzt einen Wandel in der Kultur voraus.

Stichwort Transparenz: Warum wird genau die immer wichtiger sowohl für Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer?

Transparenz bedeutet vor allem Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen, insbesondere auch in der Personalpolitik. Eine so verstandene Transparenz kann helfen, damit die richtigen Leute auch an den richtigen Stellen sitzen, sich niemand benachteiligt oder ungerecht behandelt fühlt, und die Teamatmosphäre stimmt. Nicht für alle ist Transparenz im übrigen leicht verdaulich: Denken Sie an Job-Bewertungsportale, bei denen Arbeitgeber, die sich unbeliebt gemacht haben, schnell abgestraft werden – und eine solche Vertrauenseinbuße kann dem Unternehmen beim Recruiting schaden.

Die Digitalisierung bringt neue Formen des Arbeitens mit sich. Beim sogenannten Crowdworking lassen beispielsweise Firmen Jobs via Internet irgendwo auf der Welt erledigen. Eine gute Lösung?

Dass wir unbequeme, leicht rationalisierbare Tätigkeiten in Billiglohnländer mit schlechten sozialen Bedingungen auslagern, ist ja kein Phänomen der Digitalisierung. Was neu ist: Auch einzelne Tätigkeiten können an einzelne Freiberufler unter Zeit- und Kostendruck ausgelagert werden. Für einige glücklich prekäre Nomaden auf Bali bedeutet das einen wohltuenden Lebensstil, andere erwirtschaften sich so ein Einkommen, das sie sonst nicht hätten, aber bei wiederum anderen ist das sicherlich absolut sozial bedenklich. Ob die Arbeit über Distanzen, Zeitzonen und Sprachgrenzen hinweg am Ende wirklich billiger und besser ist, ist aber sicherlich nicht immer so.

Sie fordern Jugendquoten – in allen gesellschaftlichen Bereichen. Echt notwendig?

Ja. Sonst bewegt sich nichts. Hoffentlich brauchen wir solche Notnagel bald nicht mehr. Aber für einen Übergangszeitraum, um eine neue Kultur der Diversity zu etablieren, halte ich Jugendquoten für eine sinnvolle Brückentechnologie, wenn auch nicht das Allheilmittel. Nur so können junge Menschen schnell genug in Politik und Wirtschaft ihre Stimme hörbar machen. Es heißt ja oft, die Jugend möge sich nicht aufregen, sondern lieber geduldig abwarten, bis sie an der Reihe sei, denn der Jugend gehöre ja die Zukunft. Es wäre aber schön, wenn der Jugend  nicht nur die Zukunft gehören würde, sondern auch ein Stück Gegenwart.

Bitte mal einen handfesten Tipp: Wie könnten sich Junge – fernab von Quotenregelungen – im Arbeitsalltag besseres Gehör verschaffen?

Die Jugend muss sich besser organisieren, in der Demokratie genauso wie am Arbeitsplatz. Überall, wo nicht ohnehin eine intrinsische Kultur der Partizipation herrscht, müssen sich junge Arbeitnehmer zusammenschließen, auch in Gewerkschaften, wo heute übrigens Alte und Rentner das Sagen haben – das darf nicht länger so bleiben.

Dr. Wolfgang Gründinger

Wolfgang Gründinger ist Autor des Buches "Alte Säcke Politik", im Vorstand der Stiftung Generationengerechtigkeit und Referent Digitale Transformation beim Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW). Als Autor und Aktivist beschäftigt er sich viel mit der Rente, mit Demografie und Generationengerechtigkeit.