Warum wir Karriere machen und im Alltag scheitern

Wir kleben an Handy-Displays und ungelesenen Mails, stolpern von Morgen-Briefing zu Businesslunch und Afterwork. 200 To-Dos auf unserer Liste, keine Zeit für nichts. Wir sind die Generation, die aus der Sicht der Älteren dank politischer und wirtschaftlicher Sicherheiten nicht mehr hart anpacken muss, auf den zweiten Blick aber weniger Einkommen, weniger Stabilität und mehr Schulden hat als ihre Vorgänger.[1] Und trotzdem ­– oder vielleicht gerade deshalb – klammern wir uns an das Märchen des beruflichen Erfolgs, das uns einen Sinn geben und glücklich machen soll. Es ist einfach nicht in, kein Workaholic zu sein.

200 To-Dos auf unserer Liste, keine Zeit für nichts.

Bei unserem kontinuierlichen Streben nach schimmernden Karrieren platzt unser Terminkalender aus allen Nähten. Die vollgeschriebenen Zeilen lassen keine Lücke für kleine alltägliche Aufgaben, die uns nach und nach über den Kopf wachsen und uns zu Burn-Out-Millennials machen. Eine Kampagnen-Strategie in einem Tag entwickeln? Kein Problem. Wäsche waschen, Müll runterbringen und die Post sortieren? Scheinbar unmöglich. Bereits jetzt fühlen sich 28 Prozent der jungen Generation konstant ausgebrannt, geben sie doch jeden Tag – zumindest gefühlt – 150 Prozent für den Job.[2] Da bleibt keine Energie für simple Dinge. Auch, weil es die exotischen Berufsbezeichnungen und Karriere-Titel sind, die den gesellschaftlichen Status markieren und definieren, wer wir sind oder zumindest vorgeben zu sein. Weil die Buchstaben auf unseren Visitenkarten in den Mittelpunkt unseres gesamten Lebens rücken.

„These students were convinced that their first job out of college would not only determine their career trajectory, but also their intrinsic value for the rest of their lives.“

Anne Helen Petersen, BuzzFeedNews

Dabei machen uns Beförderungen auf Dauer gar nicht zufriedener: Laut den Wissenschaftlern David Johnston und Wang-Sheng Lee, verfliegt spätestens nach drei Jahren das Aufstiegsglück. Folgt keine weitere Beförderung bleiben nur längere Arbeitszeiten, erhöhter Stress übrig [3] und der verzweifelte Versuch, einen Funken dieser Work-Life-Balance zu erwischen, von der alle reden.

Lebe deinen Traum. Aber bitte nicht den da.

Daher ist es keine Überraschung, dass ein Mantra immer lauter wird: Lebe deinen Traum. Verschreibe dich nicht einem Bullshitjob, verändere die Welt. Denn wenn du dein Leben schon deinem Beruf opferst, dann aber wenigstens mit ganzem Herzen. Doch so schön dieser Gedanke auch klingen mag, so führt er doch zu großen Problemen in unserer Arbeitswelt: Wir glauben daran, dass nur das absolute Glück für uns gut genug ist. Dass jede Tätigkeit ohne brennende Leidenschaft nutzlos ist.

„Über Generationen hat dieser Leidenschaftszwang einen Schleier des Unglücklichseins gelegt.“

Volker Kitz, spiegel.de

Es fehlt das Verständnis für kleine Träume: Nicht jeder will eine Surfschule in Australien eröffnen, ein Start-Up in Silicon Valley gründen oder ein Internship an der Wall-Street antreten. Aber wir tun so als ob. Zu fremdartig wäre der Gedanke, dass in dieser schnellen, dynamischen Welt, zwischen schillernden Werbeplakaten und utopischen Zielen der Beruf eines Postboten oder Kellners glücklich machen könnte. Wir gestehen uns nicht ein, dass Teilzeitkräfte vollwertige Bestandteile des Arbeitslebens werden, um uns selber in unserem Überstundenberg etwas wohler zu fühlen. Aber Hand aufs Herz: Wieso ist es nicht einfach ok, den Job nur für’s Geld zu machen und sich die Leidenschaft für das Leben außerhalb der Arbeit aufzuheben?

Quellen:
[1] buzzfeednews.com
[2] derstandard.at
[3] sueddeutsche.de

25. Januar 2019