Insolvenz des Arbeitgebers: Was du als Arbeitnehmer wissen solltest

Durch die Covid-19-Pandemie kam es in einigen Bereichen zu einem massiven Rückgang an Aufträgen, die Pandemie hatte weltweit Unternehmen in schwierige finanzielle Situation gestürzt. Viele Branchen haben noch immer Schwierigkeiten sich zu erholen und die Spuren, die Pandemie hinterlassen hat, sind durch Ladenschließungen und Insolvenzen deutlich spürbar. Doch weitere Krisen und weltweite Unruhen beschäftigten die Wirtschaft, wie beispielsweise der Krieg in der Ukraine. Die Weltwirtschaft wird noch immer erschüttert.

Verbunden mit Unternehmensinsolvenzen sind nicht selten erhebliche Arbeitsplatzverluste. Für eine Vielzahl von Arbeitnehmern stellt sich daher die Frage: Welche Rechte habe ich als Mitarbeitender im Falle einer Insolvenz des Arbeitgebers und was geschieht mit meinem Gehalt, meinem Urlaub und meinen Überstunden? Rechtsanwalt Johannes Hentschel, Mitglied bei anwalt.de, erklärt, wie sich die Insolvenz auf dein Arbeitsverhältnis auswirkt.

Was passiert mit meinem Gehalt, wenn der Arbeitgeber insolvent ist?

Lohnanspruch vor der Insolvenzeröffnung

Kann ein Arbeitgeber seine Zahlungsverpflichtungen nicht mehr erfüllen oder droht die Zahlungsunfähigkeit, liegt ein sogenanntes Insolvenzereignis vor. Das Unternehmen ist dann verpflichtet, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei dem zuständigen Amtsgericht zu beantragen, das hierüber durch Beschluss entscheidet.

Bekommst du wegen eines solchen Insolvenzereignisses keinen oder nur einen Teil deines Lohns, kannst du als Arbeitnehmer in Deutschland bei der Agentur für Arbeit Insolvenzgeld bzw. Insolvenzausfallgeld beantragen. Damit wird das ausgefallene Nettogehalt für die drei Monate vor der Insolvenzeröffnung ersetzt.

Wie sieht ein Insolvenzverfahren aus?

Eröffnet das Amtsgericht das Insolvenzverfahren, kann das in unterschiedlichen Formen durchgeführt werden: Durch gerichtliche Bestellung eines Insolvenzverwalters, der an die Stelle des Arbeitgebers tritt, oder durch Anordnung der Eigenverwaltung. In diesem Fall wird das Geschäft durch den Arbeitgeber selbst fortgeführt, aber unter der Aufsicht eines gerichtlich bestellten Sachwalters. Das sogenannte Schutzschirmverfahren als Sonderform der Eigenverwaltung ist ein gerichtliches Sanierungsverfahren mit dem Ziel, dass das Unternehmen nach Abschluss der Insolvenz weitergeführt wird.

Lohnanspruch nach der Insolvenzeröffnung

Unabhängig von der Art des Insolvenzverfahrens werden alle Ansprüche, die vor der Eröffnung entstanden sind, Insolvenzforderungen. Solche Ansprüche, die erst nach der Insolvenzeröffnung entstehen, werden hingegen als Masseforderungen bezeichnet. Der Unterschied: Masseschulden muss der Insolvenzverwalter – bei der Eigenverwaltung oder dem Schutzschirmverfahren der Arbeitgeber – in voller Höhe leisten. Das gilt auch für die Gehälter. Arbeitest du also nach der Insolvenzeröffnung weiter, hast du auch einen Anspruch auf Zahlung deines kompletten Lohns.

Insolvenzforderungen hingegen müssen beim Insolvenzverwalter zu einer Tabelle angemeldet werden. Du erhältst dann ein Formular, das du ausfüllen und innerhalb einer bestimmten Frist zurücksenden musst. Das betrifft beispielsweise den Lohn, den du für die Arbeitsleistung erhalten würdest, die du vor der Insolvenzeröffnung erbracht hast. Du bekommst dein Gehalt in diesem Fall allerdings erst mit dem Abschluss des Insolvenzverfahrens. Die Ansprüche werden aber häufig nicht mehr in voller Höhe, sondern nur zu einem gewissen Anteil (Quote) beglichen.

Es kann sogar so weit kommen, dass während des Insolvenzverfahrens festgestellt wird, dass das Vermögen nicht ausreichen wird, um alle Masseverbindlichkeiten zu erfüllen. In diesem Fall zeigt der Insolvenzverwalter „Masseunzulänglichkeit“ an. Vereinfacht gesagt führt das dazu, dass alle Masseforderungen, die vor der Anzeige entstanden sind, als sogenannte „Altmasseverbindlichkeiten“ nach einer gesetzlich festgelegten Rangfolge beglichen werden. Gehälter sind in diesem Fall leider nachrangig. Das betrifft also den Lohn für deine Arbeitsleistung, die du vor der Insolvenzeröffnung erbracht hast. In welcher Höhe dein Gehalt ausgezahlt wird, hängt somit maßgeblich davon ab, wann dein Lohnanspruch entstanden ist.

"Diese Firma ist nicht nur insolvent, sondern auch handlungsunfähig."

Bleibe ich krankenversichert?

Ja, denn auch in der Insolvenz ist dein Arbeitgeber verpflichtet, die Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Anderenfalls macht er sich strafbar. Aber auch in diesem Fall bleibt dein Versicherungsschutz als Arbeitnehmer erhalten. Die Beiträge zur Sozialversicherung übernimmt die Agentur für Arbeit, wenn der Arbeitgeber aufgrund der Insolvenz dazu nicht mehr in der Lage ist.

Was ist ein vorläufiges Insolvenzverfahren und wie wirkt es sich auf mein Arbeitsverhältnis aus?

Der Zeitraum zwischen dem Insolvenzantrag und dem Eröffnungsbeschluss des Amtsgerichts wird als vorläufiges Insolvenzverfahren bezeichnet. Das Gericht ist gehalten, alles Erforderliche zu veranlassen, damit für die Gläubiger durch unternehmerisches Handeln in dieser Phase keine Nachteile entstehen. Hierzu gehört die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters durch das Gericht. Unterschieden wird zwischen einem sogenannten „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter ohne, und einem „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnissen über das Vermögen des Insolvenzschuldners.

Während sich für dich als Arbeitnehmer bei einem schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter bis zum eigentlichen Eröffnungsbeschluss nichts ändert, kann dich der „starke“ Insolvenzverwalter von der Arbeit freistellen. Das führt dazu, dass du nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens für die Zeit der Freistellung keinen Gehaltsanspruch mehr hast, da der vorläufige Insolvenzverwalter keine Gegenleistung in Form deiner Arbeit erhalten hat. Dein Arbeitsentgelt wird also keine Masseverbindlichkeit oder Masseforderung, sondern nur eine Insolvenzforderung (siehe oben).

Ist mit der Insolvenzeröffnung mein Arbeitsverhältnis beendet?

Nein. Die Insolvenzordnung ordnet sogar das Fortbestehen bestimmter Dauerschuldverhältnisse an, zu denen auch Arbeitsverhältnisse zählen. Die Insolvenz des Arbeitgebers führt also nicht automatisch zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sodass die arbeitsvertraglichen Rechte und Pflichten sowohl für den Arbeitgeber als auch für dich als Arbeitnehmer grundsätzlich fortgelten. Das heißt auch, dass du weiterhin arbeiten musst.

Natürlich haben sowohl dein Arbeitgeber als auch du selbst jederzeit das Recht, das Arbeitsverhältnis durch eine Kündigung zu beenden. Aber Achtung, im Insolvenzverfahren gibt es eine Besonderheit: Die Insolvenzordnung bestimmt nämlich, dass die Kündigungsfrist maximal drei Monate beträgt – selbst dann, wenn im Arbeitsvertrag oder einem Tarifvertrag eine längere Frist festgelegt ist.

"Jeder hat Angst als nächstes die Kündigung im Briefkasten zu haben."

Was passiert bei einer Kündigung?

Spricht dein Arbeitgeber die Kündigung aus, hast du das Recht, binnen drei Wochen nach deren Zugang eine Kündigungsschutzklage zu erheben. Ohne eine solche fristgerechte Klage gilt die Kündigung als von Anfang an rechtswirksam. Die Einhaltung der Frist ist also sehr wichtig.

Da im Insolvenzverfahren regelmäßig der Insolvenzverwalter die rechtliche Stellung des Arbeitgebers innehat, muss die Kündigungsschutzklage gegen den Insolvenzverwalter erhoben werden. Das gilt auch, wenn du Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis geltend machen willst. Wird auf die Einsetzung eines Insolvenzverwalters verzichtet und stattdessen die Eigenverwaltung oder das Schutzschirmverfahren angeordnet, ist die Klage wiederum gegen den Arbeitgeber zu richten.

Hat dein Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt der Kündigung länger als sechs Monate bestanden und sind in dem Betrieb regelmäßig mehr als zehn (Vollzeit-)Arbeitnehmer tätig – Auszubildende werden nicht mitgezählt –, findet das Kündigungsschutzgesetz Anwendung. Die sogenannte soziale Rechtfertigung der Kündigung kann sich in diesem Fall nur aus personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Gründen ergeben. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist aber kein (betriebsbedingter) Kündigungsgrund. Der Insolvenzverwalter bzw. der Arbeitgeber müssten also im Klageverfahren die Kündigung begründen und die Kündigungsgründe im Zweifel beweisen.

Findet das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung, benötigt der Arbeitgeber allerdings keinen Kündigungsgrund. Das Arbeitsgericht prüft dann lediglich, ob die Kündigung deswegen unwirksam ist, weil sie aus Willkür ausgesprochen wurde. Die Erfolgsaussichten einer solchen Klage sind oftmals nur äußerst gering.

Was passiert bei einem Sozialplan?

Möchte ein Arbeitgeber in der Insolvenz eine Betriebsänderung durchführen, kann der Betriebsrat mit ihm einen Interessenausgleich und Sozialplan verhandeln. Die Sozialplanpflicht besteht also auch für Betriebsänderungen während des Insolvenzverfahrens. Es gibt aber auch hier eine insolvenzspezifische Sonderregelung, und zwar mit Blick auf die Höhe des zulässigen Sozialplanvolumens: Die Abfindung darf nicht mehr als zweieinhalb Bruttomonatsverdienste pro abfindungsberechtigtem Arbeitnehmer und nicht mehr als ein Drittel der Teilungsmasse betragen.

"Auf den Sozialplan wurde ebenfalls keine Rücksicht genommen."

Kann ich mir in der Insolvenz meine Überstunden auszahlen lassen?

Überstunden, die man vor der Insolvenzeröffnung beispielsweise auf einem Arbeitszeitkonto angesammelt hat, sind wie ein Darlehen für den Arbeitgeber, das man zu einem späteren Zeitpunkt zurückfordern kann. Das bedeutet leider auch: Der Abgeltungsanspruch wird mit der Insolvenzeröffnung zur Insolvenzforderung, kann also nur noch zur Insolvenztabelle gemeldet werden. Eine gute Nachricht gibt es allerdings für die Mehrarbeit, die man in den letzten drei Monaten vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbracht hat, denn für diese Überstunden wird Insolvenzgeld gezahlt.

Und was ist mit meinem Urlaub?

Arbeitest du nach der Insolvenzeröffnung weiter, hast du wie gewohnt auch einen Anspruch auf Erholungsurlaub. Diesen beantragst du – je nach Art des Insolvenzverfahrens – wie gewohnt bei deinem Arbeitgeber oder bei dem Insolvenzverwalter.

Endet dein Arbeitsverhältnis nach der Insolvenzeröffnung und hast du noch Resturlaub, wandelt sich dieser im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in einen Abgeltungsanspruch um und wird zu einer Masseforderung. Du bekommst die Urlaubsabgeltung also in voller Höhe ausgezahlt. Es kommt somit nicht darauf an, wann das Arbeitsverhältnis gekündigt wurde – wichtig ist nur, wann (vor oder nach der Insolvenzeröffnung) es endet.

Was geschieht mit meiner Abfindung?

Hat sich dein Arbeitgeber verpflichtet, dir wegen der Beendigung deines Arbeitsverhältnisses eine Abfindung zu zahlen, hängt deren Schicksal maßgeblich davon ab, wann der Anspruch entstanden ist. Gute Karten hast du, wenn die Abfindungszahlung nach der Insolvenzeröffnung vereinbart wurde, denn dann hast du gegen den Insolvenzverwalter bzw. deinen Arbeitgeber einen – gegebenenfalls gerichtlich einklagbaren – Anspruch auf die Abfindung, und zwar in voller Höhe.

Wurde die Abfindung dagegen im Vorfeld der Insolvenzeröffnung vereinbart, handelt es sich wiederum um eine Insolvenzforderung, die dein Arbeitgeber aufgrund seiner Zahlungsunfähigkeit in den meisten Fällen nicht bzw. nicht in voller Höhe auszahlen können wird.

"Die Insolvenz und die damit verbundene Unsicherheit führt bei den meisten Mitarbeitern zu Ratlosigkeit"

Eine 3.2

Was ist, wenn ich mich bei der Insolvenzeröffnung in Elternzeit befinde?

Die gute Nachricht ist: Das Arbeitsverhältnis besteht trotz der Insolvenz fort. Findet sich ein Käufer für das Unternehmen und kommt es zu einem Betriebsübergang, kannst du nach dem Ende der Elternzeit in deinen alten Job zurückkehren. Auch das Elterngeld wird weiterhin gezahlt, da es sich um eine staatliche Leistung handelt, auf die die Insolvenz des Arbeitgebers keinen Einfluss hat.

Allerdings kann der Insolvenzverwalter oder der Arbeitgeber während eines Insolvenzverfahrens bei der für das jeweilige Bundesland zuständigen Behörde beantragen, dass die Kündigung eines in Elternzeit befindlichen Mitarbeiters für zulässig erklärt wird und das Arbeitsverhältnis dann mit Zustimmung der Behörde kündigen. Das gleiche gilt für andere Beschäftigte mit Sonderkündigungsschutz, also schwerbehinderte Menschen und schwangere Arbeitnehmerinnen. Gegen eine solche Kündigung können die betroffenen Mitarbeiter aber ebenfalls binnen drei Wochen die Kündigungsschutzklage erheben.

Dein Arbeitgeber ist insolvent: Wie du am besten vorgehst

Zeichnet sich die Zahlungsunfähigkeit deines Arbeitgebers ab, beispielsweise weil er keinen Lohn mehr zahlt, solltest du dich schnellstmöglich finanziell und beruflich absichern: Fordere deine Arbeitgeber schriftlich zur Zahlung auf, aber gehe nicht auf die Bitte nach einer Stundung oder einem Forderungsverzicht ein, lass dir ein Zwischenzeugnis ausstellen, beantrage bei der Agentur für Arbeit Insolvenzgeld bzw. Insolvenzausfallgeld und lass dich, falls erforderlich, rechtlich von einem Rechtsanwalt im Arbeitsrecht beraten und vertreten.

Wie sieht es in der Schweiz und in Österreich aus?

In Österreich und in der Schweiz gelten teilweise andere Regelungen. Genauere Informationen findest du auf der Seite des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (Österreich), auf den Seiten der Ämter für Wirtschaft und Arbeit (Schweiz) sowie in den jeweiligen staatlichen Gesetzen.

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