Wie kann Gleichberechtigung am Arbeitsplatz funktionieren?

Jede Person soll die gleichen Chancen im Job haben – unabhängig von ihrem Geschlecht, ihres Alters, ihrer Herkunft, ihrer Religion oder ihrer sexuellen Orientierung und Identität. Eine Aussage, die vermutlich so gut wie jede:r unterstützt, vor allem die Befürworter einer fairen Arbeitswelt. Praktisch ist jedoch die Gleichberechtigung von marginalisierten Gruppen in der Arbeitswelt bei Weitem noch nicht erreicht. Das ist in vielen Bereichen zu erkennen und wird bereits dadurch sichtbar, dass Frauen im Schnitt nach wie vor weniger verdienen als Männer.

Warum geht es nicht schneller voran mit der Gleichberechtigung am Arbeitsplatz? Wie äußert sich fehlende Gleichberechtigung im Job neben den Gehaltsunterschieden? Warum profitieren alle durch Gleichberechtigung am Arbeitsplatz? Wir geben dir einen Einblick in das Thema.

Was bedeutet Gleichberechtigung am Arbeitsplatz?

Alle Menschen sollen die Chance haben, sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten beruflich frei zu entwickeln. Niemand soll auf Grund der der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Orientierung und Identität im beruflichen Kontext benachteiligt werden. Das deutsche Grundgesetz definiert in Artikel 3 die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Darüber hinaus wurde im Jahr 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (auch Antidiskriminierungsgesetz oder Gleichberechtigungsgesetz genannt) in Deutschland eingeführt, das das Recht auf Gleichberechtigung im Grundgesetz weiter detailliert. Auch in Österreich und der Schweiz gibt es entsprechende Gesetze.

Die deutsche Bundesregierung hat es sich zum Ziel gesetzt, den Unterschied in den durchschnittlichen Bruttostundenverdiensten bis 2030 auf maximal 10 Prozent zu reduzieren (in Deutschland lag der unbereinigte Gender Pay Gap 2020 bei 18 Prozent). Diese Gehaltsschere beschreibt die Gehaltsunterschiede zwischen allen Geschlechtern. Mit der im Sommer 2020 beschlossenen Nationalen Gleichstellungsstrategie "Stark für die Zukunft" konkretisierte die Bundesregierung ihre Ziele. Der Ansatz: Eine gesetzlich verbindliche Basis zu schaffen und so Akzeptanz herzustellen und über die Zeit einen Kulturwandel bei Unternehmen anzustoßen.

  1. Verdienstunterschiede beseitigen
    Transparenz in den Gehältern ist eine der Voraussetzungen, um Gehaltsunterschiede abzubauen. Mit dem 2017 eingeführten Entgelttransparenzgesetz haben Beschäftigte in Betrieben ab 200 Mitarbeiter:innen das Recht, Auskunft über die Entgeltstrukturen im Unternehmen zu verlangen.
  2. Mehr Frauen in Führungspositionen
    Seit 2016 gilt in Deutschland eine Mindestgeschlechterquote von 30 Prozent für neu zu besetzende Aufsichtsratsposten in mehr als 100 börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen.
  3. Familie und Beruf vereinbaren
    Mit dem Elterngeld plus haben Mütter und Väter die Möglichkeit, länger als bisher Elterngeld in Anspruch zu nehmen. In den letzten Jahren wurde deutschlandweit der Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen vorangetrieben. Zudem können Betreuungskosten steuerlich geltend gemacht werden.
  4. Abbau von Geschlechterklischees in der Berufswahl
    Die Förderung der Gleichstellung von Frauen in der Arbeitswelt muss schon in Schule und Ausbildung beginnen.

„Schon Kinder werden enorm von klischeehaften Geschlechterzuschreibungen limitiert. Danach sind Jungs Piraten und Entdecker, sie können gut klettern, laufen schnell und nehmen alles auseinander. Mädchen hingegen sind Prinzessinnen oder Elfen, sie spielen gern Verkleiden oder mit Pferden und basteln vor sich hin. Das alles hat extrem viel mit gesellschaftlicher Prägung und Vorbildern und wenig mit persönlicher Neigung zu tun. Die Klischees und Rollenzuweisungen schlagen sich aber in der späteren Berufswahl nieder.“

Henrike von Platen, Fairpay- und Finanz-Expertin im Interview

Die Bundesregierung hat deshalb gemeinsam mit Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft den nationale MINT-Pakt geschlossen. Unter dem Motto "Komm, mach MINT" soll jungen Frauen gezeigt werden, wie die heutige MINT-Berufswelt aussieht und welche Chancen sich für Frauen eröffnen. Die von der Bundesregierung unterstützte Initiative Klischeefrei gibt Hilfestellung bei der Berufswahl – frei von Geschlechterklischees. Denn obwohl Frauen keine Minderheit in unserer Gesellschaft darstellen, sind weibliche Arbeitnehmer:innen immer noch häufig von einer Marginalisierung in der Arbeitswelt betroffen.

Wie äußert sich die Benachteiligung von Frauen im Beruf?

Trotz all der Bemühungen bleibt viel zu tun: Der von der Hans Böckler veröffentlichte  WSI Gleichstellungsreport 2022 sieht zähe Fortschritte und klaffende Lücken für Frauen. Die Diskriminierung von Frauen am Arbeitsplatz zeigt sich laut der Studie vor allem in folgenden Bereichen:

  • Bezahlung: Der Bruttostundenlohn von Frauen ist laut Studie durchschnittlich 18,3 Prozent niedriger als der von Männern.
  • Rente: Bei der Altersrente ist der Unterschied deutlich höher: Frauen erhalten 49 Prozent weniger als Männer.
  • Kinderbetreuung: Bei ungleichgeschlechtlichen Paaren mit Kindern schultern 71 Prozent der Frauen die Hauptlast bei der Kinderbetreuung (vor der Corona-Pandemie lag dieser Wert noch bei 62 Prozent, hier ist also sogar ein deutlicher Rückschritt zu verzeichnen).
  • Teilzeitverträge: 46,1 Prozent der beschäftigten Frauen arbeiten in Teilzeitverträgen. Die begrenzte Arbeitszeit wirkt sich negativ auf das Gehalt und später auf die Rente aus).
  • Anzahl von Frauen in Führungspositionen: Der Frauenanteil in Aufsichtsräten und Vorständen entwickelt sich nur minimal. 2020 lag der Anteil von Frauen in Aufsichtsräten bei 35 Prozent bei Unternehmen mit Mitbestimmung (bei Unternehmen ohne Mitbestimmung bei 22 Prozent). Der Anteil von Frauen in Vorständen betrug 12 Prozent bei Unternehmen mit Mitbestimmung (bei Unternehmen ohne Mitbestimmung lag er bei 8 Prozent).
Quelle: boeckler.de

Gleichberechtigung am Arbeitsplatz: Warum gelingt sie nicht

Laut dem Global Gender Gap Report 2021 des Weltwirtschaftsforums muss eine weitere Generation von Frauen auf die Gleichstellung der Geschlechter warten. Da die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie weiterhin zu spüren sind, dauert nach Einschätzung des Forums die Diskriminierung von Frauen länger an als vor einigen Jahren prognostiziert: Sie hat sich von 99,5 Jahre auf 135,6 Jahre erhöht.

Ungleiche Behandlung und Diskriminierung von Frauen hat in vielen Ländern eine sehr lange Tradition, hat sich lange Zeit auf alle Bereiche des Lebens bezogen und war akzeptierter Teil der Alltagskultur. Ein Kulturwandel braucht Zeit und er muss von allen Gesellschaftsteilen mitgetragen werden: Von Politik, Wirtschaft, Forschung und Kultur. Um Gleichberechtigung am Arbeitsplatz zu realisieren, sind strukturelle Änderungen nötig, die nicht von heute auf morgen umgesetzt werden können (Kinderbetreuung, Studien- und Ausbildungsangebote etc.) und es müssen geschlechterbedingte Klischees abgebaut werden. Die Corona-Pandemie hat positive Entwicklungen ausgebremst. Es waren vor allem Frauen, die in Branchen gearbeitet haben, die unter der Krise litten. Laut Studie des Weltwirtschaftsforums haben weltweit 5 Prozent der Frauen ihren Job verloren (bei den Männern waren es 3,9 Prozent). Es waren vor allem die Frauen, die die Doppelbelastung durch Job und Kinderbetreuung schultern mussten. Während der Corona-Krise haben Frauen ihre Arbeitszeit deutlich stärker reduziert als Männer – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Höhe der Gehälter.

Die Vorteile von Gleichberechtigung am Arbeitsplatz

Für Frauen und andere marginalisierte Gruppen liegen die Vorteile von Gleichberechtigung im Beruf auf der Hand: Neben Fairness und Wertschätzung geht es auch um wirtschaftliche Gleichstellung. Aber auch Männer legen zunehmend Wert auf einen Arbeitsplatz ohne geschlechterbezogene Rollenklischees, mit fairen Möglichkeiten der beruflichen Entfaltung und mit gerechten Entgeltstrukturen ohne Diskriminierung. Arbeitnehmende fühlen sich in einem offenen und diversen Arbeitsumfeld wohler und sind zufriedener. Geschlechtergerechte Arbeitsbedingungen sind für Arbeitgebende mittlerweile ein Wettbewerbsvorteil in Zeiten des Fachkräftemangels.

letztes Update: 27. Mai 2022