Die Pandemie als Prüfstand für New Work

Rund um das Thema Unternehmenskultur ist Jürgen Bock einer der führenden Experten Deutschlands. Im Gespräch äußerst sich der langjährige Otto-Manager unter anderem zu den Fragen, welche langfristigen Auswirkungen die Corona-Pandemie auf die Arbeitswelt hat, welchen Stellenwert Unternehmen der betrieblichen Kultur einräumen und welche Fehler viele Top-Manager bei diesem Thema machen.

Herr Bock, Sie sind Experte zu Themen rund um New Work, Digitalem Wandel und Unternehmenskultur. Welche langfristigen Auswirkungen hat die Pandemie aus Ihrer Sicht auf die Themen, zu denen Sie beraten? Wird Corona die Arbeitswelt langfristig beeinflussen?

Während der Corona-Krise hat sich gezeigt, dass die Arbeit an der Führungskultur kein Schönwetterprogramm ist. Die Pandemie erwies sich als Prüfstand für New Work. Zu den Produktivitätsgewinnern zählten solche Unternehmen, die ihre Hausaufgaben hinsichtlich Infrastruktur, Kompetenz und insbesondere Unternehmenskultur bereits geleistet hatten. In diesen Organisationen war man mit dem Führen auf Distanz und Remote-Arbeiten vertraut. Werte wie Vertrauen, Ergebnisorientierung und Toleranz wurden gelebt. Befragungen haben gezeigt, dass sich durch die Pandemie und der damit einher gehenden Beschränkungen zwar der Einsatz digitaler Technologien, die Nutzung des Home Office sowie die virtuelle Zusammenarbeit sprunghaft entwickelt haben. Es wurden durch die Corona-Pandemie jedoch kaum Fortschritte im Hinblick auf die Qualität von Führung und Unternehmenskultur erzielt. Eine Arbeit an einer zunehmend vertrauensbasierten Kultur ist jedoch mehr denn je notwendig, um die gefühlte Mehrbelastung aufzufangen, die bei den Mitarbeitenden in erster Linie durch die eingeschränkten sozialen Beziehungen entstehen.

Sie haben diverse Unternehmen beraten - vom Start-up bis zum Großkonzern. Ist die Bedeutung dieses Faktors zwischenzeitlich bei den meisten Unternehmen angekommen? Wird die Unternehmenskultur, gerade angesichts des Fachkräftemangels, als Wettbewerbsfaktor wahrgenommen?

Ja, es lässt sich eine Entwicklung feststellen. Ich möchte das am Beispiel der Otto Group beschreiben, für die ich viele Jahre gearbeitet habe. Die Otto Group hat sich Ende 2015 für einen umfangreichen Kulturwandel in die digitale Welt entschieden und der Vorstand ist mit gutem Beispiel voran gegangen und hat dem Thema eine hohe Priorität eingeräumt. Das hat dazu geführt, dass die Otto Group heute als Organisation wahrgenommen wird, die gezeigt hat, wie sich ein erfolgreicher Kulturwandel durchführen lässt. Die Folge davon ist, dass in den letzten Jahren nicht nur die Anzahl der Top-Bewerber deutlich gestiegen ist, sondern sich mehr als 300 Unternehmen bei der Otto Group über das Vorgehen informiert haben. Das kann man als gutes Zeichen interpretieren. Das Thema Kulturwandel scheint somit zunehmend in den Köpfen angekommen zu sein, aber es wird nicht immer richtig umgesetzt. Zu häufig wird der Wandel in eine neue Kultur mit den Vorgehensweisen der alten Kultur betrieben. Und durch die Pandemie tritt das Thema Kulturwandel eher auf der Stelle, weil die menschlichen Begegnungen unterbleiben.

Was sind aus Ihrer Sicht die häufigsten Fehler oder Fehlentwicklungen, die bei Unternehmen in Bezug auf ihre Unternehmenskultur zu beobachten sind? 

Wir bewegen uns nicht erst seit Corona in einer zunehmend digitaleren Welt, in der es insbesondere um die Geschwindigkeit von Entscheidungsprozessen und die bestmögliche Nutzung des vorhandenen Potenzials in der Organisation geht.  Hierarchie-Denken, Kontrolle, Absicherung, Bürokratie, Silo-Denken – das sind die Hauptverursacher von komplizierten und langsamen Abläufen und von Demotivation. Zu selten fühlt sich das Top-Management verantwortlich für die verbesserungsbedürftigen kulturellen Verhältnisse, sondern delegiert den Kulturwandel-Prozess gern auf Arbeitsgruppen oder Fachbereiche. Der Vorstand oder die Geschäftsführung verkennen dabei, dass sie selbst zu diesem Zustand tagtäglich ihren Beitrag leisten. Ein Kulturwandel wird deshalb nur dann erfolgreich sein, wenn das Top-Management die Verantwortung übernimmt und beginnt, an sich selbst zu arbeiten und die gewünschte neue Kultur selbst vorlebt. Erst dann werden sich auch die übrigen Ebenen neu ausrichten. In der neuen Welt geht es um Transparenz, Vertrauen, Gestaltungs- und Entscheidungs-Freiräume, Empathie und emotionale Sicherheit.

Diversität ist erwiesenermaßen ein bedeutender Faktor für die Kultur eines Unternehmens. In Deutschland hat kürzlich die neu beschlossene Frauenquote in börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen für große Aufmerksamkeit gesorgt. Was sagt uns das über die Zustände in deutschen Unternehmen, wenn es hierzu ein Gesetz braucht? 

Die deutschen Unternehmen hatten sich 2001 selbst verpflichtet, einen höheren Frauenanteil in Vorstandsetagen anzustreben. Tatsächlich hat sich aber in den folgenden 20 Jahren wenig bewegt, was bedeutet, dass dem Thema keine große Bedeutung zugeschrieben wurde.  Umso verständlicher ist es, dass es nun zu einer Quotenregelung für die 30 DAX-Unternehmen gekommen ist, auch wenn ich mir gewünscht hätte, dass die Unternehmen das aus Überzeugung selbst geregelt hätten. Aus eigener Erfahrung glaube ich fest daran, dass ein erhöhter Frauenanteil auf Top-Führungs-Ebene auch für Bewegung auf den anderen Führungsebenen sorgt und dass dies wiederum positive Auswirkungen auf eine Unternehmenskultur im Sinne von New Work haben wird.

Wenn Sie heute ein Unternehmen gründen würden? Welche Maßnahmen würden Sie treffen, um die Unternehmenskultur von Anfang an zu einem großen Erfolgsfaktor zu machen? 

Das Unternehmen würde gesteuert werden nach Objektives and Key Results, eine Management-Methode, die die Ziele des Unternehmens mit denen jedes einzelnen Mitarbeiters verbindet und einen klaren Fokus für die nächsten drei Monate setzt.  Ich würde Menschen einstellen, die neben hervorragenden Fachkenntnissen auch von ihrer Persönlichkeit zu uns anderen passen. Ich würde Wert darauf legen, dass von Anfang an eine Kultur gelebt wird, wo jede(r) sagen kann, was er/sie denkt, zu welchem Thema auch immer. Nur so können das Unternehmen und die Einzelne(n) sich entwickeln. Es soll eine gelebte Feedbackkultur vorhanden sein, top down sowie bottom up. Es soll größtmögliche Transparenz über alle wichtigen Daten und Fakten herrschen, damit alle wissen, wo das Unternehmen steht, wo es noch Defizite gibt, wozu die Einzelnen ihren Beitrag leisten können. Führungskräfte, Experten und Mitarbeiter werden nicht nach Status sondern nach ihrem Beitrag zur Wertschöpfungsbeitrag belohnt. Fehler und Defizite werden gemeinsam besprochen und gemeinsam gelöst.

Jürgen Bock

Jürgen Bock ist rund um das Thema Unternehmenskultur einer der führenden Experten Deutschlands. Er greift dabei auf 24 Jahre operativer Erfahrung zurück - bei der Otto Group leitete er für 13 Jahre die Personalentwicklung und verantwortete von 2005 bis 2017 die Bereiche Unternehmenskultur und Corporate Values. Seit 2005 ist er als Keynote-Speaker bei diversen Unternehmen unterwegs - darunter Adobe, Bertelsmann, Daimler, Google und die Lufthansa.