„Aufgeben gibt’s nicht!“ - Manuela Rousseaus Weg an die Spitze eines DAX-Konzerns

Manuela Rousseau ist stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Beiersdorf AG. In ihrem aktuellen Buch "Wir brauchen Frauen, die sich trauen" beschreibt sie ihren ungewöhnlichen Werdegang - mitsamt seinen Brüchen und Selbstzweifeln. kununu erzählt sie, wie sie es mit Hauptschulabschluss in den Aufsichtsrat eines DAX-Konzerns geschafft hat, welche Erkenntnisse sie aus einer großen Niederlage gezogen hat und wie Unternehmen von den Wiener Philharmonikern lernen können. 

kununu: Frau Prof. Rousseau, Sie sind mit Hauptschulabschluss zur stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden eines DAX-Konzerns geworden? Wäre solch ein Aufstieg heute noch möglich?

Manuela Rousseau: Das war damals schon sehr schwierig und wäre heute noch schwieriger. Ich habe mich nie schriftlich beworben. Ich wäre definitiv in der Absagen-Kiste gelandet. Daraus habe ich jedoch mitgenommen, dass viele Unternehmen nur auf die Formalien und zu wenig auf Talente und außergewöhnliche Fähigkeiten achten. Gerade deshalb ist es mir heute wichtig, immer einen ganzheitlichen Blick auf Bewerber*innen zu richten.

Bis zum Einzug in den Aufsichtsrat von Beiersdorf war es ein langer Weg.

Ja, und diesen Weg schafft man nicht allein. Kolleg*innen bei Beiersdorf, die gewerkschaftlich organisiert waren, haben mich gefragt, ob ich für die Arbeitnehmerseite für den Aufsichtsrat kandidieren möchte. Ich habe mich natürlich gefragt, warum ich? Eine Antwort war, dass eine Frau gesucht wurde – für mich kein ausreichendes Argument. Das entscheidende Argument war, dass ich Expertise im Bereich Kommunikation hatte und so diese Gruppe entsprechend unterstützen könne. Ich hatte also sehr früh ein Netzwerk, das mich in dieser Phase unterstützte.

Trotzdem haben Sie die Wahl verloren. Wie sind Sie damit umgegangen?

Es war zwar „nur“ eine verlorene Wahl, für mich fühlte es sich jedoch niederschmetternd an, es nicht auf Anhieb geschafft zu haben. Ich hatte besonders die Frauen, die ihre Hoffnungen auf mich gesetzt hatten, enttäuscht und konnte in dem Moment nur meine Niederlage sehen. Aber ich hatte ein respektables Ergebnis erzielt. Und ich hatte meine Komfortzone verlassen, mich getraut. Zudem standen mir nun erste wertvolle Erfahrungen zur Verfügung, wie AR-Wahlkämpfe ablaufen. Letztendlich habe ich damit anderen Frauen Mut gemacht: Wenn ich es kann, könnt ihr es auch wagen!

Welcher Prozess lag zwischen dieser Niederlage und der zweiten, erfolgreichen Kandidatur fünf Jahre später?

Ich habe eine Phase voller Zweifel durchlaufen. Aber dann habe ich mich gefragt: Was könnte ich besser machen als beim ersten Mal? Wie kann ich die fünf Jahre bis zur nächsten Wahl nutzen, um mein Wissen zur inhaltlichen Arbeit von Aufsichtsräten und Wahlen zu vergrößern? Wie kann ich mein Netzwerk ausbauen? Ich bin schnell in eine konstruktive Phase gekommen und habe meine Vorbereitungszeit für die nächste Wahl genutzt. Das führte später zum Erfolg. Fazit: Aufgeben gibt’s nicht!

Gab es denn einen bestimmten Faktor, der Sie intrinsisch motiviert hat, über alle diese Jahre diesen schwierigen Weg zu gehen?

Ja, ich hatte immer den Wunsch, unabhängig zu sein. Ich habe sehr früh in meiner Laufbahn ein Start-up-Unternehmen im Elektronikbereich gegründet. Es war jahrelang sehr erfolgreich, ist aber letztlich gescheitert – ein großer Bruch in meiner Karriere. Aber ich habe mitgenommen, dass ich nie wieder so am Boden liegen will. Ich habe mir gesagt: Jetzt erst recht! Oder wie eben schon gesagt: Aufstehen! Aufgeben gibt’s nicht.

Sie sind seit nunmehr 20 Jahren im Beiersdorf-Aufsichtsrat – mittlerweile sind fünf Frauen in dem Gremium. Wie hat sich der Aufsichtsrat durch die Frauen verändert?

Am Anfang war ich als einziges weibliches Mitglied unübersehbar – eine Art Solitär. Es waren nur Männer um mich herum – sie alle waren höflich und zuvorkommend. Aber hatte ich auch ihren Respekt? Das Bewusstsein, kein weibliches Gegenüber in dieser Gruppe zu finden, erlebte ich als unnatürlich. Stellen Sie sich vor, wie allein sich ein einzelner Junge in einer Mädchenklasse fühlen würde. Als dann eine zweite und dritte Frau hinzukamen, hat sich nicht nur mein Gefühl verändert, sondern auch die Diskussionskultur in der Gruppe wurde insgesamt offener.

Wie haben Sie mit ihren neuen Kolleginnen dann konkret zusammengearbeitet?

Anfangs haben wir Frauen uns gegenseitig dadurch unterstützt, indem wir im Vorfeld Themen diskutierten, um herauszufinden, ob es einen gemeinsamen Tenor gab. Schon nach kurzer Zeit fanden Vorbesprechungen mit allen Mitgliedern statt. Für mich machte es einen Unterschied, nicht mehr allein in einer reinen Männergruppe mitzuarbeiten.

Welche Ziele, welche Mission leiten Sie aus diesen Erfahrungen ab?

Männer sind nicht Verlierer und Frauen nicht Gewinner. Gemeinsam sind wir besser, das belegen zahlreiche Studien. Wir sollten schnellstens Stereotypen abbauen und gemeinsam neue Rollenmodelle entwickeln. Darum geht es mir. Klischees loszulassen – das ist meine Mission. Mixed Leadership macht alle zu Gewinnern, schafft Mehrwert für Unternehmen und für die Gesellschaft.

Was halten Sie grundsätzlich von der Ansicht, dass Frauen – gerade in den höheren Führungsetagen – eher konkurrieren, als sich gegenseitig zu unterstützen?

Wir müssen weg von negativen Stereotypen wie Zickenkrieg oder Stutenbissigkeit. Wenn wir das Wort „Konkurrenz“ durch „Wettbewerb“ ersetzen, ist die Situation bei Männern nicht anders als unter Frauen.  Nur, Männer lernen schon früh, in Teams zu denken, miteinander zu ringen, im Wettbewerb zu stehen. Für viele ist es das Normalste der Welt, beispielsweise beim Sport: Ein verlorenes Spiel ist eben ein verlorenes Spiel. Frauen haben in diesem Punkt Nachholbedarf. Sie holen auf und erkennen, dass sie gemeinsam stärker sind. Darum braucht es Netzwerke, in denen Frauen sich gegenseitig konkret unterstützen, sich auch mal loben, ermutigen, anderen Frauen helfen, in Führungspositionen zu kommen. Wir befinden uns alle im beruflichen Wettbewerb. Ziel ist es, ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis zu erreichen, ohne Qualifikationen zu vernachlässigen.

Ist es auch ein Stereotyp, dass Frauen sich oftmals unterschätzen und auch deshalb in Führungspositionen eher unterrepräsentiert sind?

Nein, dies ist kein Stereotyp. Da trifft eher der Begriff des Impostor-Syndroms zu. Frauen neigen dazu, ihre eigenen Fähigkeiten kleinzureden. Sie werden häufiger als Männer von Selbstzweifeln geplagt. Kein Mann würde in einem Bewerbungsgespräch sagen, dass er sich nicht sicher ist, ob er alle Voraussetzungen für den Job mitbringt. Bei Frauen hingegen wundere ich mich oft über deren Zurückhaltung und denke mir: Du bringst die Voraussetzungen mit, deshalb haben wir dich eingeladen. Dazu kommt, dass forsches und selbstbewusstes Auftreten von Frauen nicht geschätzt wird. Wenn eine Frau weiß, was sie will, und offensiv auftritt, gilt sie oft als aggressiv. Dieses Stereotyp heißt: Was bei einem Mann positiv gesehen wird, wird bei Frauen negativ eingeordnet.

Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass diverse Teams erfolgreicher sind als homogene, die beispielsweise nur aus Männern zwischen 50 und 60 Jahren bestehen. Wenn hochbezahlte Manager in Konzernen bei der Besetzung von Management-Positionen diese Erkenntnis wegwischen, handeln sie dann nicht gegen die Interessen des eigenen Unternehmens?

Ja! Oft ist das Argument, dass Qualität zählt und es die geeigneten Frauen nicht gäbe. Das stimmt nicht. Unternehmen, beispielsweise Beiersdorf, geben Headhuntern mit auf den Weg, dass sie beide Geschlechter in der Shortlist sehen wollen. Es geht darum, sich Regeln und Modelle zu überlegen, die Chancengleichheit gewährleisten. Ich grenze das ab von Gleichberechtigung. Das hat mit den Rahmenbedingungen zu tun.

Haben Sie ein Beispiel?

Das Vorspielen bei den Wiener Philharmonikern! Die Musiker spielen hinter einem Vorhang und dann entscheidet das Gremium, wer die oder der Beste war. Die Sache mit dem Vorhang funktioniert natürlich im normalen Wirtschaftsleben nicht. Wir brauchen analog modifizierte Bewerbungsprozesse, das beginnt schon damit, ob Bewerbungsgespräche von gemischten Teams, einem Mann und einer Frau, geführt werden.

Welche Stärken bringen Frauen insbesondere ein?

Ich möchte keine Stereotypen bedienen und keinem Geschlecht Fähigkeiten absprechen oder zuordnen. Frauen bringen tendenziell ihre empathischen Fähigkeiten stärker ein. Ich nenne hier meine drei Ks: Kommunikation, Kooperation und Konsensstärke. Frauen sind es eher gewohnt, über Kommunikation alle mitzunehmen, zu kooperieren und Kompromisse einzugehen. Führungskräfte brauchen Empathie, und die steht ganz weit oben, wenn es um die Fähigkeiten einer guten Führungspersönlichkeit geht.

Gibt es für Sie einen Grund, warum viele Unternehmen sich die Vorteile diverser Teams nicht zunutze machen?

Diverse Teams erfordern erst einmal mehr Zeit, weil Vieles neu gedacht wird. Das ist aufwändiger, erfordert Toleranz von allen Beteiligten. Wenn dann noch Sprachhürden hinzukommen, wird es anstrengend. Wir suchen uns Menschen aus, die uns ähneln, das ist vertrauter und einfacher. Diversität bedeutet ein Umdenken: Toleranz, die Bereitwilligkeit zu lernen, dass nicht nur meine eigene Idee und Haltung die richtige ist. Dem anderen oder der anderen zuhören, ihm oder ihr und den anderen Ansichten Raum geben – da gibt es noch viel Nachholbedarf.

Frau Rousseau, wenn Sie abschließend Ihren Wunsch äußern möchten, was die Zukunft von Arbeit und Gesellschaft angeht, was ist Ihnen wichtig?

Ich wünsche mir mehr Miteinander, ein Abbauen der bestehenden Stereotypen, eine lebenswerte, liebevolle und achtsame Gesellschaft. Wir brauchen neue Arbeitszeitmodelle, mit denen Männer mehr Zeit für ihre Kinder haben und ihre Rolle des Alleinverdieners aufgeben dürfen. Und mit denen Frauen sich so verwirklichen können, wie sie sich ihr Lebensmodell vorstellen – mehr Familiensinn und weniger Egoismus!

Prof. Manuela Rousseau

Prof. Manuela Rousseau ist seit 1999 Mitglied des Aufsichtsrats der Beiersdorf AG und seit 2019 stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende. Seit 1992 lehrt sie Fundraising und Corporate Social Responsibility an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Darüber hinaus engagiert sie sich ehrenamtlich bei FidAR – Die Initiative für mehr Frauen in die Aufsichtsräte e.V. und im Verband Führungskräfte Chemie (VAA). Für ihr Engagement wurde sie 1999 mit der Bundesverdienstmedaille ausgezeichnet. Die Vogue Business wählte sie 2002 zu den 100 Top Business Frauen in Deutschland. © Foto: Henriette Pogoda

5. Februar 2021