„Homophobie gab es damals und es gibt sie noch heute.“ – Julian Wiehl, Herausgeber des VANGARDIST Magazins

Rot, Orange, Gelb, Grün und Blau: Österreichs Hauptstadt ist bunt, bekennt Flagge in Regenbogenfarben. Doch auch wenn Wien als Gastgeber, der diesjährigen europäischen LGBTIQ-Pride ein weltoffenes Bild zeigt – werden immer noch Menschen auf der ganzen Welt wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert. Julian Wiehl, Herausgeber des Post Gay Magazins VANGARDIST, spricht über Homophobie und Outing in der Arbeitswelt und welche Rolle Führungskräfte und Kollegen dabei spielen.

kununu: Wieso hast du das Magazin gegründet?

Julian Wiehl: Mein Geschäftspartner Carlos Gomez und ich haben VANGARDIST vor 10 Jahren als reines Online-Magazin gegründet. Erst fünf Jahre später kam dann die Printausgabe dazu. Wir wollten etwas Anspruchsvolles für die Gay Community gestalten, weil Sexualität in unserer Gesellschaft immer noch ein Tabuthema ist. Der Name VANGARDIST setzt sich zusammen aus den französischen Wörtern „avant“ für vor und „garde“ für Truppe. Wir haben den Namen deshalb gewählt, weil unsere Geschichten von Pionieren handeln und sich an Menschen richten, die sich etwas trauen und neue Wege gehen.

In Deutschland und Österreich werden Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung immer noch diskriminiert. Auch am Arbeitsplatz, an dem wir teilweise mehr Zeit als Zuhause verbringen.

Wie stehst du zu dem Thema Outing am Arbeitsplatz?

Dafür gibt es sicherlich kein allgemeines Rezept. Klar ist: Wir verbringen einen Großteil unserer Lebenszeit mit unserem Job. Und dort arbeitet längst nicht mehr jeder für sich allein. Wir sind Teil eines Teams, das gemeinsam etwas erreichen will. Wenn du dich also nur auf dein „arbeitendes Ich“ beschränkst, kann das eine extreme Belastung darstellen. Nicht jeder kommt damit zurecht und manchmal ist diese klare Trennung auch einfach unmöglich.

Inwiefern?

Weil gerade in der aktuellen Arbeitswelt sehr viel über informelle Kommunikationswege läuft. Ob beim gemeinsamen Mittagessen oder der Raucherpause, man unterhält sich dabei über das Wochenende, Hobbies oder andere private Dinge, aber eben auch über neue Projekte. Zieht man sich von diesen sozialen Kontakten zurück, weil man zum Beispiel gar nicht erst auf Partner oder das Privatleben angesprochen werden will, wird man auch von Informationen, die die Arbeit betreffen, ausgeschlossen. Und dadurch kann man sich selbst auch etwas in die Rolle des Außenseiters bringen. Klar, ist aber auch, dass natürlich jeder anders ist und ich nur von meinen Erfahrungen sprechen kann.

Hast du denn schon mal negative Situationen im Arbeitsalltag erlebt?

Nein, zum Glück nicht. Aber ich war auch immer in einem sehr behüteten Umfeld und meine Familie war sehr offen und liberal. Später in der Filmakademie bin ich auch nur Menschen begegnet, die dem Thema offen gegenüberstehen. Und im Magazin habe ich natürlich mein eigenes Territorium. Wichtig ist, dass man sich nie als Opfer präsentieren sollte. Trete ich zum Beispiel schüchtern oder unsicher auf oder habe vielleicht sogar das Gefühl, mich für meine sexuelle Orientierung entschuldigen zu müssen, gebe ich anderen die Macht über mich zu urteilen. Ich bin immer offen und selbstbewusst mit meiner Homosexualität umgegangen und damit war die Sache immer schnell erledigt.

Wie würdest du mit Statements von Kollegen umgehen, die sagen: „Ich habe ja nichts gegen Schwule, aber…“ oder „Das war ja nicht so gemeint“?

Also ich glaube, wenn man ein angenehmer und umgänglich Mensch ist und auf Leute offen zu geht, dann hat das Gegenüber viel weniger Probleme damit, dass jemand homosexuell ist. Wenn man hingegen anfängt, verschroben zu sein, sich zurückzieht oder Geheimnisse hat und wenig redet, dann bietet man Angriffsfläche. Ich denke da geht es sehr viel um Psychologie im Arbeitsleben: Wenn ich ein graues Mäuschen bin, dann werde ich nicht gesehen oder sogar gemobbt. Die Täter suchen sich je tendenziell immer einen Schwächeren aus. Wichtig ist in jedem Fall die Rolle, die dabei das Unternehmen einnimmt.  Da ist vor allem das Verhalten von Führungspersonen gefragt Mobbing in egal welchem Zusammenhang zu unterbinden.

Was können Führungskräfte deiner Meinung nach unternehmen?

Wir sagen immer: Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken. Wenn die Führung schwach ist, passieren Dinge, die man nicht haben will: Streit innerhalb eines Teams, informelle Normen, oder der Ausschluss von Kollegen . Da ist Homophobie nur eines von vielen Themen. Als Führungskraft ist man in der Pflicht Position zu beziehen, besagte Personen zur Seite zu nehmen und klare Aussagen zu treffen. Beispielsweise „Dieses Verhalten dulden wir in unserem Unternehmen nicht.“ Greifen Vorgesetzte rechtzeitig ein, bringen sie nicht das Opfer in eine Situation, in der er oder sie sich mit dem Täter auseinandersetzen muss. Denn dieser wiederum kann dann schnell in eine Verteidigungsreaktion verfallen und dicht machen.

Was können Unternehmen noch gegen gegen Homophobie oder für LGBTIQ tun?

Wenn man mit gutem Beispiel voran geht, ist der Weg schon geebnet. Gibt es einen vorgegebenen Pfad, verlassen ihn die meisten auch nicht mehr. Daher ist es aus meiner Sicht sehr wichtig, dass Arbeitgeber klare Diversity-Richtlinien haben und spezielle Umgangsweisen im Unternehmen definiert sind. Indem ich die Werte für meine Firma festlege und klar kommuniziere, ziehe ich wiederum tolerante Arbeitnehmer an, was das Arbeitsklima in dieser Hinsicht positiv beeinflusst. Schwieriger wird es dann eher mit Langzeitmitarbeitern oder wenn sich die Frage stellt: Was mache ich, wenn das Klima schon vergiftet ist? Dafür würden sich Workshops anbieten oder Gespräche mit Experten. Eine Führungsperson, die zwar vielleicht sehr liberal und offen eingestellt ist, aber selbst keinen persönlichen Bezug zu dem Thema Homosexualität hat, kann auch nur bedingt Tipps zum richtigen Umgang von Kollegen untereinander geben.

Was kann man vielleicht selber tun, um sich zu schützen?

Es ist immer wichtig, dass sich Kollegen füreinander einsetzten. Man sollte sich ins Bewusstsein rufen: Wenn ich mitmache, unterstütze ich den Täter. Genauso, wenn ich etwas zulasse. Um sich selber zu schützen, sollte man sich meiner Meinung nach nie isolieren, sondern Kontakt zu anderen aufbauen und kleine Allianzen bilden. So hat man Menschen, die hinter einem stehen. Ist der Täter nämlich mit seinen Witzen alleine und niemand lacht mehr darüber, vergeht schnell der Spaß. Ich habe oft schon erlebt, dass ein Outing etwas sehr Positives sein kann: Die Leute, denen du dich öffnest und etwas so Wichtiges von dir erzählst – und die es dann positiv aufnehmen – sehen darin auch einen großen Vertrauensbeweis und erzählen dir häufig auch sehr bedeutende Dinge über sich im Gegenzug. Wenn man aber natürlich nichts von sich preisgibt, weil man sich schützen will, dann bekommt man auch nichts vom anderen zurück. Dabei ist Vertrauen sehr wichtig für die Zusammenarbeit und für das Team.

Was sollte sich in der Arbeitswelt verbessern?

Natürlich habe ich den Wunsch zu einer kompletten Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern und einem Verständnis was Diversität betrifft. Damit das passieren kann, benötigen Unternehmen vor allem Schulungen, um sozialen Kompetenzen zu stärken und emotionale Intelligenz zu fördern. Das Wichtigste ist aber, dass Arbeitgeber und leitende Personen lernen Verantwortung zu übernehmen. Aktuell sind immer noch viele Personen in führenden Positionen, ohne dabei wirklich zu leiten. Es geht nicht mehr darum, bloß Aufgaben zu delegieren und Deadlines einzuhalten: Führungspersonen brauchen auch einen hohen EQ und den Mut, Dinge anzusprechen und anzugehen.

Was steckt hinter eurem aktuellen Projekt Pink Triangle Issue?

Das Projekt knüpft an das Gedenkjahr an: Vor 80 Jahren wurde das Konzentrationslager Mauthausen in Österreich errichtet.  Viele Homosexuelle sind dort aufgrund ihrer sexuellen Orientierung umgekommen oder wurden schrecklich misshandelt. In der Aktion haben wir den Bogen in die Gegenwart gespannt. Wir haben mit drei Menschen von drei unterschiedlichen Kontinenten gesprochen, die berichtet haben, was sie durch Homophobie erdulden oder auch erleiden mussten, haben Fakten gesammelt und einen Kurzfilm produziert. Wichtig ist: Auch, wenn man glaubt, die Welt hat sich etwas zum Positiven verändert, gibt es immer noch Länder, die sehr brutal und menschenverachtend mit homosexuellen Personen umgehen. Da geht es nicht nur um soziale Ausgrenzung, sondern um Psychoterror und Vergewaltigung als „Heilmethode“ bis hin zu Folter oder Tod. Homophobie gab es damals und es gibt sie noch heute. Wir müssen aktiv werden, damit sich das ändert.

Julian Wiehl

Seit 10 Jahren ist Julian Wiehl Herausgeber des VANGARDIST Magazins. Mit der provokanten HIV+ Ausgabe hat es der Titel 2015 weltweit in die Medien geschafft und in Cannes ganze 9 Lions gemeinsam mit Saatchi Genf abgeräumt. 2016 wurde Julian Wiehl zum Onliner des Jahres im Bereich Medien gewählt. 2018 rief er den Future Ball ins Leben, ein Event für Visionäre von Kunst bis Technologie. Seit Anfang des Jahres ist er zusätzlich noch Geschäftsführer der Wingpaper GmbH, einem Software Unternehmen für Document-Publishing.